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Dienstag, 3. September 2013

Von Berlin nach Bogotá - The Slow Way

Endlich geht es wieder los! Dieses Jahr steht nach längerer Zeit eine größere, mehrmonatige Reise an. Sie wird mich von meiner Heimatstadt Berlin in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá führen. Das ist zumindest der grobe Plan, auf welchen (Um)Wegen ich dort hingelangen und welche Länder ich darüber hinaus bereisen werde, ist noch ungewiss. Auf jeden Fall möchte ich die Strecke auf dem Land- und Seeweg zurücklegen. Das ist mir wichtig, denn wie ich in den vorherigen Einträgen schon schrieb, haben Flugzeuge für mich wenig mit wahrem Reisen zu tun.

In Kolumbien will ich endlich die Familie meines Freundes Jorge kennenlernen. Über 4 Jahre sind wir jetzt zusammen und wir haben es tatsächlich noch nicht einmal nach Kolumbien geschafft. Es hat sich einfach nicht ergeben, da uns anscheinend immer die Zeit für einen angemessen langen Aufenthalt fehlte. Wenn wir schon den weiten Weg nach Südamerika zurücklegen, wollen wir auch mindestents ein paar Monate bleiben.

Mit dem Segelboot über den großen Teich


Als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal vom „boat hiking“, dem trampen per Boot, erfahren habe, stand für mich fest, dass ich den Atlantik unbedingt einmal auf diese Weise überqueren wollte. Am Besten in einem Segelboot, weil es mir als eines der natürlichsten und nachhaltigsten Fortbewegungsmittel erscheint. In den letzten Jahren begegnete ich dann immer wieder Menschen, die genau das gemacht haben und mich dazu ermutigten, es auch zu probieren. So war es also nur noch eine Frage der Zeit bis ich mich endlich auf den Weg mache.

Nun scheint der perfekte Zeitpunkt gekommen zu sein. Jorge ist gerade von einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt in Usbekistan zurückgekommen, wo er für eine internationale NGO gearbeitet hat. Jetzt hat er einige Monate frei, bevor es zu seinem nächsten Einsatz geht. Ich habe vor einigen Monaten mein Studium beendet und bin glücklicherweise noch nicht ins Hamsterrad des Berufslebens eingestiegen. Und habe das auch erstmal nicht vor. Anstatt irgendeinen Job zu machen, nur um Geld zu verdienen, möchte ich meine Zeit, also mein Leben, lieber einer Sache widmen, die mich wirklich mit Freude erfüllt. Nur weiß ich leider noch nicht genau, was das für eine Sache ist. In den vergangenen Monaten in Berlin war ich auf der Suche danach. Ich habe unterschiedliche Dinge ausprobiert, ein bisschen gejobbt und erste journalistische Gehversuche gemacht. Aber aus irgendeinem Grund bin ich an einem bestimmten Punkt nicht mehr weitergekommen. Ich habe das Gefühl, dass ich die Sicherheit meiner gewohnten Umgebung für eine Weile verlassen, meinen Kopf wieder mit neuen Ideen füllen und mich von fernen Orten und unbekannten Menschen inspirieren lassen muss. Ich hoffe, dass mir diese Reise dabei helfen kann, herauszufinden, wie ich leben will und welcher Sache ich mich voll und ganz widmen möchte.

Meine momentane Ungebundenheit ermöglicht mir die schönste Form des Reisens: Ich habe keinen Termin, zu dem ich zurück sein muss. Keinen Zeitdruck, keine Limitierungen. Ich kann mich voll und ganz auf das einlassen, was mir unterwegs begegnet und mich vom Leben überraschen lassen. Meine Berliner Wohnung habe ich zwar erstmal nur bis Ende März untervermietet, aber gleichzeitig weiß ich, dass ich relativ problemlos auch von unterwegs via Internet eine neue Untermieterin oder Untermieter finden würde. Das Schöne an Großstädten ist, dass man meist relativ problemlos auch kurzfristig Untermieter findet, sodass man während längerer Reisen nicht zuhause weiterhin Miete zahlen muss, nur um die Wohnung zu halten. Auf Websites wie www.wg-gesucht.de kann man WG-Zimmer und kleinere Wohnungen zur Zwischenmiete anbieten und schnell Interessierte finden.

Segel-Training auf dem Wannsee


In Vorbereitung und Vorfreude auf die Reise habe ich bereits im letzten Sommer einen Segelkurs auf dem Berliner Wannsee gemacht. Das mag etwas lachhaft klingen, sich auf dem Wannsee auf eine Atlantiküberquerung vorbereiten zu wollen, ist aber so blöd nicht. Denn anscheinend ist es  schwieriger auf einem See zu segeln als auf dem Meer. Auf den Binnengewässern dreht nämlich der Wind viel häufiger, während er auf hoher See meist kontinuierlich aus einer Richtung bläst. Das ist sehr entspannend, denn dann braucht man nur die Segel einmal richtig setzen und kann dann für eine Weile die Fahrt genießen. Im Binnengewässer muss man dagegen ständig aufpassen und die Segel dem veränderten Wind anpassen. Kommt dann eine unerwartete Windböe auf, liegt man ganz schnell im Wasser. Mit dem Kentern habe ich in dieser Zeit viele Erfahrungen gemacht und sogar das eiskalte Aprilwasser überlebt. Ich bin also bestens auf widrige Bedingungen vorbereitet.

Günstige Segelkurse kann übrigens jede/r über die Universitäten buchen. Zumindest ist das in Berlin so, müsste aber auch in anderen Städten möglich sein. Externe zahlen zwar einen etwas höheren Preis als Studierende der jeweiligen Unidversität, es ist aber immer noch viel günstiger als einen Kurs bei einem privaten Anbieter zu belegen. Ich habe meinen Kurs zum Beispiel im Wassersportzentrum der Freien Universität Berlin gemacht.

Die große Atlantik-Rally


Die beste Reisezeit um von Europa nach Südamerika zu segeln ist von September bis Januar, da dann die Winde in die entsprechende Richtung wehen. Zu dieser Zeit hat man die besten Chancen, ein Segelboot für die Atlantiküberquerung zu finden. Sowohl von Frankreich aus als auch Südspanien, von den kanarischen Inseln sowie dem afrikanischen Senegal verlassen die Boote die Häfen diesseits des Atlantiks, um in die neue Welt aufzubrechen. Die meisten Boote segeln in Las Palmas, der Hauptstadt der größten kanarischen Insel Gran Canaria, los. Das ist auch der Starthafen für die Atlantic Rally for Cruisers, eine große Regatta, die jedes Jahr Ende November stattfindet. Dann verlassen um die 200 Boote gemeinsam den Hafen in Las Palmas, um zu der karibischen Insel Saint Lucia vor der Küste Venezuelas zu segeln. Zu keiner Zeit verlassen mehr Boote den größten Yachthafen des kanarischen Archipels. Zweifelsohne also eine gute Zeit, um nach einer Mitfahrgelegenheit auf einem Segelboot zu suchen. Es ist allerdings auch die Zeit, zu der besonders viele Menschen genau dasselbe versuchen werden.

Dieses Jahr werden also auch Jorge und ich unter den Suchenden sein. Wir hoffen, dass wir spätestens Mitte November in Las Palmas eintreffen: Sollten wir einen Platz auf einem der teilnehmenden Boote ergattern, wären wir bereits Mitte Dezember in der Karibik. Darauf können wir uns aber nicht verlassen. Es werden wohl viele Menschen nach einer Mitfahrgelegenheit suchen und die meisten Boote nehmen vor allem während der Regatta verständlicherweise lieber erfahrene Segler mit an Bord. Jorge hat noch gar keine Segelerfahrung, aber wer weiß, vielleicht kann ich ja doch mit meinem Segelschein für die berlin-brandenburgischen Binnengewässer ein klein wenig punkten. Wenn nicht müssen wir uns eben in Geduld üben und weitersuchen. Irgendjemand wird uns schon mitnehmen. Irgendwann.

Die nächsten 2-3 Monate bevor wir in See stechen, werden wir in Spanien, Portugal und Marokko verbringen. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit, denn sie ermöglicht es uns wirklich langsam zu reisen und den Weg nach Südamerika ganz bewusst zu genießen. Schließlich ist beim Reisen wie auch im Leben der Weg wichtiger als das Ziel. Auf der iberischen Halbinsel haben wir auch noch einiges vor, aber davon werde ich später noch berichten.

Von Berlin nach Madrid per Anhalter


Unser erstes Ziel ist die spanische Hauptstadt. In Madrid sind Jorge und ich uns vor über vier Jahren das erste Mal begegnet. Jorge hat fünf Jahre und ich habe fünf Monate in Madrid gelebt. Beide wollen wir unsere ehemalige ‚Heimat‘ wiedersehen. Unglaubliche dreieinhalb Jahre ist es her, dass wir dort waren. Ich werde dann Mitte September in einer kleinen Stadt in der Nähe von Madrid - Ávila - einen 10-tägigen Vipassana–Meditationskurs machen. Jorge steht momentan noch auf der Warteliste. Es ist also noch nicht sicher, ob wir das gemeinsam machen werden.

Über die Vipassana-Meditation schreibe ich dann das nächste Mal mehr. Jetzt steht erstmal die Reise nach Madrid an. Wir haben uns entschieden per Anhalter zu fahren, weil das für uns beide eine der spannendsten Arten des Reisens ist. Es mag manchmal etwas anstrengend und unbequem sein, sich bei jeder Wetterlage an die Straße zu stellen und zu hoffen, dass jemand anhält und einen mitnimmt. Meistens wird man aber für diese Mühen reichlich belohnt. Auf diese Weise begegnet man den ungewöhnlichsten und interessantesten Menschen. Oft sind es Leute, mit denen man sonst nie Kontakt aufgenommen hätte, weil sie zum Beispiel einem ganz anderen Milieu, einer anderen Altersklasse oder ähnlichem angehören. Diese Art des Reisens ermöglicht es, mit den unterschiedlichsten Menschen des jeweiligen Reiselandes in Kontakt zu treten und auf diese Weise so viel mehr über das Land zu erfahren.

Wenn man sich auf wildfremde Menschen verlassen muss, ist man dazu gezwungen, offen zu sein und sich auf sie einzulassen. Es ist eine schöne Praxis, die uns Vertrauen in das Leben und unser Mitmenschen lehrt. Das Reisen per Anhalter erfordert völliges Vertrauen auf beiden Seiten. Der Inder Satish Kumar, der Anfang der 60er Jahre ohne einen Cent in der Tasche von Ghandis Grab  in Indien nach Moskau, Paris, London und Washington D.C. - die Hauptstädte der damaligen Atommächte - pilgerte, um gegen Nuklearwaffen zu protestieren, sagte in einem Interview sinngemäß: Wenn Angst zu Krieg führt, dann müsse Vertrauen Frieden bringen. Das Trampen ist nicht einfach ein billiges Transportmittel für Leute mit kleinem Budget, die außerdem nach Abenteuern suchen. Es ist eine Praxis, die eine neue Kultur des Vertrauens schaffen kann. Sie stellt der ungesunden Angst unserer Zeit, dem Argwohn und Misstrauen zwischen den Menschen, Vertrauen, selbstloses Handeln und gegenseitige Unterstützung gegenüber. Sie durchbricht die Logik unseres Wirtschaftssystems, das für jeden Gefallen eine Gegenleistung erwartet.
„Wenn man allerdings genug Geld hat und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen ist, kann man um die ganze Welt fahren, ohne einem einzigen Einheimischen zu begegnen, außer denjenigen, die einen bedienen.“ Dan Kieran 
Es kann durchaus hinderlich sein während einer Reise zu viel Geld zur Verfügung zu haben. Wir werden viel zu bequem. Wir können alles käuflich erwerben und müssen uns nicht die Mühe machen, uns für andere Menschen zu öffnen und auf Fremde einzulassen. Das ist im ersten Moment bequem, aber uns entgeht so furchtbar viel. Das Reisen verliert durch die Bequemlichkeit seinen eigentlichen Sinn. Wir sind gar nicht bereit mit den Orten, die wir bereisen, und den Menschen, die dort leben, in Kontakt zu treten und wirklich in die Tiefe zu gehen, weil es anstrengend ist und manchmal auch Mut erfordert.
Das scheinbare Manko eines kleinen Budgets (oder auch des Reisens ohne Geld) zwingt uns dagegen dazu, uns auf andere Menschen einzulassen, um Hilfe zu bitten und unsere einschränkende Bequemlichkeit und Verschlossenheit gegenüber Fremden zu überwinden. Das berreichert die Reiseerfahrung enorm, macht sie lehrreicher und authentischer.

Leider sind Jorge und ich auf unserer Reise nach Madrid zeitlich ein wenig eingeschränkt, da mein Meditationskurs bereits am 10.09. beginnt. Da wir nun unsere Abfahrt schon um 2 Tage verschoben haben, sind wir nun ein bisschen spät dran. Andererseits war es auch schön, die Freiheit zu haben, den Termin einfach zu verschieben und uns die Zeit zu nehmen, die wir brauchen. Das wäre kaum möglich gewesen, hätten wir einen Flug gebucht.
Morgen, am Mittwoch dem 04. September 2013, geht es aber definitiv los. Es ist ein bisschen schade, dass wir nun nur sechs Tage für die Reise haben und keine längeren Stopps auf dem Weg einlegen können. Aber der Kurs ist mir diesmal wichtiger. Ausserdem bin ich die Strecke schon einmal vor vier Jahren per Anhalter gefahren und habe mir damals reichlich Zeit gelassen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Frankreich und Deutschland zügig vorankommen werden. In Spanien ist das Trampen erfahrungsgemäß etwas schwerfälliger. Eventuell werden wir dort auf den Bus umsteigen, damit wir es noch rechtzeitig schaffen. Im nächsten Blogeintrag berichte ich dann, wie unsere Reise nach Madrid verlaufen ist. 

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