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Samstag, 30. November 2013

Lissabon: Ein Monat in der sonnigsten Hauptstadt Europas

Am Ende haben wir es mit dem langsamen Reisen doch sehr genau genommen und uns einen Monat lang fast überhaupt nicht fortbewegt. Und wir hätten es nicht besser machen können. Ich glaube, ein Monat ist die perfekte Zeitspanne, um die Seele einer Stadt kennen zu lernen, ihren Rhythmus zu erfahren, die Bewohner und ihren Alltag zu verstehen, authentische Gegenden aufzuspüren, die in keinem Stadtführer stehen, und die eigenen Lieblingsorte zu entdecken, die man dann immer wieder besucht. 

Blick über die Stadt von einem der zahllosen "miradouros", Foto: Jorge Rojas 



Fahrstuhl in der Innenstadt mit dem man den anstrengenden Aufstieg in den angesagten Bezirk "Bairro Alto" umgehen
kann; Foto: Jorge

Sonnenuntergang am Tejo-Fluss, Foto: Julia

Wir wurden immer wieder überrascht angeschaut, wenn wir erzählten, dass wir für einen Monat in Lissabon bleiben. "Ach so, und was macht ihr dann hier? Gibt es einen bestimmten Anlass so lange zu bleiben?", waren die typischen Fragen. Dabei lohnt sich ein längerer Aufenthalt in einer Stadt viel mehr, als mehrere Kurztrips pro Jahr zu unternehmen. Dann sieht man zwar scheinbar mehr von der Welt, besucht aber keinen dieser Orte wirklich. Außerdem ist es meist günstiger länger in einer Stadt zu bleiben. Zum Beispiel bei der Unterkunft kann man sparen. In einem Monat kann man leicht ein WG-Zimmer mieten. Zumindest in Lissabon gibt es ein riesiges Angebot, das zwar vor allem auf Erasmus-Studenten abzielt, aber mit ein bisschen Glück und findet man auch als Reisender ein Zimmer für einen Monat. Außerhalb des Zentrums beginnen die Preise bei 180 Euro für einen ganzen Monat. Im Zentrum kosten die Zimmer ein wenig mehr, etwa ab 250 Euro. 

Wir haben relativ leicht und unkompliziert ein Zimmer übers Internet auch ohne großartige Portugiesisch-Kenntnisse gefunden. Wir bezahlen 300 Euro pro Monat, weil wir zu zweit sind. Für eine Person hätte das Zimmer 250€ gekostet. Die Wohnung befindet sich in Graça, einem recht zentralen, wunderschönen, typischen Lissabonner Bezirk. Das gleiche Geld gibt man locker in einer Woche in einem mehr oder weniger guten Hotel aus. In dem Preis sind alle Nebenkosten enthalten und es gibt sogar eine Putzfrau, die einmal die Woche kommt, Bad und Küche putzt und sogar unser Bett frisch bezieht. Keine Ahnung, ob das portugiesischer Standard ist, aber ich bin auf jeden Fall sehr dankbar für diesen unerwarteten, praktischen Service. Die Wohnung hat drei Zimmer und die erste Woche waren wir ganz allein dort. In der zweiten Woche kam Marija aus Kroatien, die ein Praktikum in Lissabon macht. Seitdem leben wir immer noch sehr komfortabel in der Drei-Zimmer-Wohnung. Und vor allem sehr viel authentischer als in jedem Hotel in einem typischen Lissaboner Wohnviertel abseits der Touristengegenden. Noch besser wäre es natürlich mit Portugiesen zusammen zu leben, aber auch das kann man leicht finden, wenn man etwas Mühe und Geduld in die Suche investiert. 

Blick aus unser Wohnung, Foto: Jorge

Blick aus unserer Wohnung II, Foto: Jorge

Das Monatsticket für die öffentlichen Verkehrsmittel ist in Lissabon mit 35€ pro Monat überraschend günstig. Das gilt nicht für die Einzelfahrten bzw. Tagestickets, die entsprechen mit 1,80€ und 5,50€ eher dem westeuropäischen Standard. Wir haben uns aber sogar das Monatsticket gespart und sind stattdessen überall hin gelaufen. Dafür haben wir ungleich mehr von der Stadt gesehen. Wir sind unzählige der schmalen, verwinkelten Gassen entlang geschlendert, in denen die frisch gewaschene Wäsche an Leinen vom Himmel baumelt. Wir haben immer wieder neue, versteckte, niedliche Parks und gemütliche Cafés entdeckt und frische Blicke auf die Stadt und den mächtigen Tejo Fluss von den unzähligen "miradouros", den Aussichtspunkten, erlebt. Nach zwei Wochen schmerzten uns allerdings die Beine ein wenig, so dass wir uns von da an ab und zu eine Fahrt mit dem Bus oder den niedlichen kleinen Straßenbahnen, die die teilweise sehr steilen Hügel der Stadt problemlos erklimmen und sich elegant durch die engen Gassen schlängeln, gönnten. Wenn man dabei auch noch Geld sparen möchte, guckt man sich einfach die Tricks der Lissabonner ab. Die hängen sich zum Beispiel von außen an die Straßenbahn dran. Gut, das machen hauptsächlich männliche Jugendliche. Keine Ahnung, ob des Spaßes wegen oder um das Ticket zu sparen. In der Metro kann man sich einfach dicht hinter eine Person stellen und dann schnell mit durchlaufen, wenn diese ihr Ticket löst und sich die Schranken öffnen. Funktioniert. Ich habe schon einige Leute mit meinem Ticket „mitgenommen“.


Die Linie 28 fährt durch die wunderschönen und sehr unterschiedlichen Stadtteile Graça, Alfama, Baixa und Lapa und eignet sich wunderbar für eine günstige Sightseeing-Tour, Foto: Jorge



In Lissabon gibt es unzählige Aussichtspunkte. Das ist der "miradour" in unserem Bezirk Graça mit sehr nettem Café, Foto: Jore  

Zu Fuß in Lissabon unterwegs zu sein bedeutet auch, ständig jede Menge teilweise ziemlich steile Hügel auf und ab zu laufen. Und wir wohnen natürlich auch noch auf einem hohen Hügel. Die Aussicht auf den Tejo Fluss von unserer Wohnung aus ist super, aber ein bisschen Kondition braucht man hier schon. Oft genug wachen wir am Morgen mit Muskelkater in den Beinen auf. Andererseits ist das ein super Ausgleich zu den Unmengen an süßem Gebäck, dass hier an jeder Ecke feilgeboten wird. Portugal ist wirklich das Land der Desserts und Süßspeisen. Ich habe noch nie eine solche Dichte an Bäckereien erlebt, die ihre unglaublich Vielfalt an Torten und Leckereien auch noch unübersehbar im Schaufenster ausstellen müssen. 

In den ersten Tagen aßen wir beinahe täglich ein Pastel de Nata - das typischste und leckerste portugiesische Gebäck - ein kleines Blätterteigtörtchen gefüllt mit Pudding. Dafür sind wir bisher allein dreimal nach Belém gefahren, einen ziemlich abgelegen, aber sehr schönen Bezirk mit vielen Sehenswürdigkeiten im Westen Lissabons. Hier wurden die begehrten Törtchen schon im 18. Jahrhundert von den Mönchen und Nonnen des imposanten, ebenfalls sehr sehenswerten Hieronymus-Klosters hergestellt. In Belém gibt es immer noch eine traditionelle, äußerst beliebte Bäckerei, die Fábrica dos Pastéis de Nata, die die Törtchen seit 1837 nach altem, streng geheimem und gut behütetem Rezept herstellt. Leider ist diese Pastelaria sowohl bei Einheimischen als auch Touristen äußerst beliebt, sodass die Menschen gewöhnlich bis weit auf die Straße Schlange stehen. Drinnen findet man dann eine weitere Riesenschlange von Menschen, die auf einen Tisch warten. Es gibt einen extra Bereich für die Wartenden, obwohl das Lokal wirklich riesig ist und 404 Sitzplätze hat. Da das Lokal ziemlich verwinkelt ist und über mehrere Räume verfügt, kann man aber auch einfach ein wenig durch das Café laufen und hoffen, dass irgendwo gerade jemand aufsteht und sich dann schnell hinsetzen. Das ist zwar nicht gerade fair den Menschen gegenüber, die in der Schlange im Nebenzimmer warten, aber bei dem Geruch von Zimt und warmen Puddinggebäck in der Nase fällt es mir persönlich schwer, genug Geduld aufzubringen, um mich in der Schlange anzustellen. 

Süßes im Schaufenster, Foto: Jorge

Pasteis de Nata i n Belém, Foto: Jorge 

Die Pastelaria "Fábrica dos Pasteis de Belém" an einem überraschend ruhigem Freitag-Nachmittag, Foto: Julia


Mosteiro dos Jerónimos, das Hieronymus-Kloster in Belém, Foto: Julia

Ein weiterer Vorteil an einem einmonatigen Besuch ist, dass man genug Zeit hat ein wenig von der Sprache zu lernen. So konnten wir hier sogar einen Portugiesischkurs belegen. Es hat zwar bestimmt eine Woche gedauert etwas Passendes zu finden, aber das lag allein daran, dass wir nicht zu viel Geld ausgeben wollten. Wenn man da weniger knausert, geht es wahrscheinlich schneller. Wir haben letztendlichen einen passenden Kurs im Kulturzentrum inMouraria, einem der traditionellsten und zentralsten Lissabonner Bezirke, gefunden. Wir hatten zweimal die Woche je zwei Stunden Unterricht, was leider nicht besonders viel ist, wenn man die Sprache wirklich lernen will. Der Kurs geht über drei Monate und wir konnten zum Glück auch noch ein Monat nach Beginn des Kurses einsteigen. Das war für uns ok, da wir Spanisch sprechen und so schon relativ viel verstehen konnten. Eigentlich sollte der Kurs 35 Euro pro Monat kosten, aber als unsere Lehrerein hörte, dass wir keinen Job haben meinte sie ganz selbstverständlich: „Also wer keine Arbeit hat, braucht bei uns auch nichts zu bezahlen.“ Gute Einstellung, sollte öfter so gehandhabt werden!

Überhaupt gibt es in Lissabon, wie wahrscheinlich in den meisten größeren europäischen Städten, zahlreiche kostenlose Kulturangebote. Bei einem abendlichen Spaziergang durch die Stadt entdeckten wir zum Beispiel ein tolles zweiwöchiges kostenloses Filmfestival, bei dem wirklich gute Filme aus aller Welt gezeigt wurden. Die erste Woche hatten wir leider verpasst, aber die darauffolgende Woche waren wir dann jeden Abend im Kino. Auf Facebook gibt es eine sehr praktische Seite, die regelmäßig über kostenlose, kulturelle Events in Lissabon informiert und außerdem auch eine Monatsübersicht über alle kostenlosen Veranstaltungen erstellt. Das Angebot ist so groß, dass man locker einen ganzen Monat damit verbringen kann, kostenlose Ausstellungen, Filme, Galerien, Museen, Konzerte etc. zu besuchen. Einfach Fan der Seite Cultura Grátis em Lisboa werden und sich informieren lassen.

Seit fünf Jahren gibt es im November außerdem das Festival imigrARTE, ein kostenloses Event, das von Immigranten und entsprechenden Vereinen organisiert wird. Am dritten Novemberwochenende gab es zahlreiche kostenlose Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen an einem zentralen Veranstaltungsort in Lissabon. Außerdem bereiten die Immigranten-Communities traditionelle Gerichte aus ihren Herkunftsländern zu und verkaufen sie für wenig Geld auf dem Festival. Portugal soll das Land in Europa sein, das seine Immigranten am besten in die Gesellschaft integriert. Zumindest habe ich das im spanischen Radio gehört, kurz bevor wir nach Portugal fuhren. Nach meinem einmonatigen Aufenthalt hat sich dieser Eindruck auf jeden Fall bestätigt. Lissabon ist wie die meisten westeuropäischen Großstädte ein bunter Mix der unterschiedlichsten Kulturen. Es gibt vor allem viele Menschen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien wie Mozambique, Angola  und Brasilien, aber auch zahlreiche Osteuropäer und Asiaten, die sich hier dauerhaft niedergelassen haben. Diese leben aber nicht alle zusammen in einem Bezirk und bilden eine Art Parallelgesellschaft, wie das zum Beispiel in Berlin und anderen europäischen Großstädten der Fall ist, sondern scheinen wirklich mit der einheimischen Gesellschaft zusammen zu leben.

Unsere Zeit in Lissabon neigt sich nun dem Ende zu. Morgen fahren wir mit dem Schiff nach Recife, Brasilien, und freuen uns schon sehr auf die tropischen Temperaturen. Auch in der sonnigsten Hauptstadt Europas wurde es ab Mitte November ein wenig kühl. Es schien zwar während des gesamten Monats die Sonne, was unglaublich schön und unerwartet war. Ich hatte im November schon mit ein paar verregneten, grauen Tagen gerechnet, aber das gab es hier absolut nicht. Nur zu Beginn hat es einmal geregnet, aber das war so ein feiner Nieselregen, dass man ihn kaum wahrgenommen hat.

Sunny Lisboa im November, Foto: Jorge


Das Problem sind eher die schwachen oder in den meisten Fällen nicht vorhandenen Heizungen. Das wird bei um die 7 Grad nachts und ca. 12-13 Grad tagsüber, die wir momentan haben, doch manchmal etwas ungemütlich. Und es ist erst November. Keine Ahnung wie es im Winter ist. In Lissabon ist es gang und gäbe, dass die Wohnungen keine Heizung haben. Wir haben sogar das große Glück eine in unserem Zimmer zu haben, aber die ist so mickrig und schwach, dass sie kaum einen spürbaren Effekt erzielt. An allen Ecken in Lissabon werden deshalb diese kleinen elektrischen Heizkörper verkauft, vielleicht helfen die ja ein wenig. Aber so richtig gemütlich stelle ich es mir im Winter trotzdem nicht vor. Auch die Cafés, Restaurants und Bars sind meist nicht geheizt, so dass man an kühlen Abenden auch dort nicht hineinflüchten kann. So richtig ist mir das aber erst aufgefallen als wir Mitte November einen Trip nach Coimbra machten, eine sehr schöne kleine Studentenstadt ca. 200km nördlich von Lissabon. Da war es nochmal um einiges kälter, so um die 5-6 Grad am Abend. Da waren die unbeheizten Bars und Cafés wirklich ärgerlich. Umso schöner war es dann nach Lissabon zurückzukehren. Hier ist doch spürbar wärmer als im Norden des Landes.

Der Winter stelle ich mir trotzdem etwas ungemütlich vor. Die beste Zeit, um Lissabon zu besuchen ist daher wahrscheinlich entweder im Frühjahr von März bis Mai oder September bis Oktober. Der Vorteil im November war allerdings, dass auch deutlich weniger Touristen unterwegs waren.

Ausflug nach Coimbra, eine der ältesten Studentenstädte Europas, Foto: Jorge

Coimbra vom anderen Ufer des Mondego, Foto: Jorge


Im botanischen Garten in Coimbra, Foto: Jorge

Park in Coimbra, Foto: Jorge


Morgen beginnt also der nächste Teil unserer Reise. Wir werden mit einem Kreuzfahrtschiff nach Brasilien fahren. Eigentlich ist das überhaupt nicht meine Art zu reisen, da ich sonst eher mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs bin, gerne trampe und bei Couchsurfern übernachte. Aber man muss auch mal was Neues ausprobieren und im schlimmsten Fall weiß man danach, warum man diese Art des Reisens kritisiert. Ursprünglich wollten wir mit dem Segelboot den Ozean überqueren, aber sind dann doch aufgrund mangelnder Segelerfahrungen und anderer Überlegungen davon abgekommen. Für die Zukunft kann ich mir das aber auf jeden Fall nochmal vorstellen. Aber vielleicht ist es gut, den Ozean erstmal in etwas komfortablerer Weise zu überqueren, um herauszufinden, ob das überhaupt etwas für einen ist.

Für die Atlantiküberquerung gibt es unglaublich günstige Angebote der Kreuzfahrtgesellschaften. Das liegt wahrscheinlich daran, dass nicht besonders viele Menschen daran interessiert sind mit dem Schiff  nach Amerika zu fahren. Man ist eben neun Tage nur auf dem Ozean unterwegs, hält nirgendwo an, macht keine Ausflüge und sieht nur das Meer. Fliegen ist eben viel schneller. Die Schifffahrtsgesellschaften müssen aber ihre Boote über den Ozean bringen, denn in Europa ist die Saison zu Ende und im europäischen Winter werden Touren in der Karibik angeboten. Hier in Lissabon haben wir in den Reisebüros gesehen, dass die Gesellschaft mit der wir fahren ordentlich Werbung für die Reise nach Recife macht. Mittlerweile sind sie nochmal um 100€ mit dem Preis runtergegangen. Es lohnt sich also mit der Buchung bis zum letzten Moment zu warten. Dann wird es sogar billiger als Fliegen und man bekommt außerdem eine 9-tägige Schifffahrt mit Unterkunft, Vollverpflegung, Unterhaltungsprogramm und den ganzen Annehmlichkeiten, die eine Kreuzfahrt so bietet. Was allerdings noch so an zusätzlichen Kosten an Bord auf uns zukommt, wissen wir noch nicht.