Am Ende haben wir es mit dem langsamen Reisen doch
sehr genau genommen und uns einen Monat lang fast überhaupt nicht fortbewegt.
Und wir hätten es nicht besser machen können. Ich glaube, ein Monat ist die
perfekte Zeitspanne, um die Seele einer Stadt kennen zu lernen, ihren Rhythmus
zu erfahren, die Bewohner und ihren Alltag zu verstehen, authentische Gegenden
aufzuspüren, die in keinem Stadtführer stehen, und die eigenen Lieblingsorte zu
entdecken, die man dann immer wieder besucht.
Fahrstuhl in der Innenstadt mit dem man den anstrengenden Aufstieg in den angesagten Bezirk "Bairro Alto" umgehen kann; Foto: Jorge |
Wir wurden immer wieder überrascht angeschaut, wenn wir erzählten, dass wir für einen Monat in Lissabon bleiben. "Ach so, und was macht ihr dann hier? Gibt es einen bestimmten Anlass so lange zu bleiben?", waren die typischen Fragen. Dabei lohnt sich ein längerer Aufenthalt in einer
Stadt viel mehr, als mehrere Kurztrips pro Jahr zu unternehmen. Dann sieht man
zwar scheinbar mehr von der Welt, besucht aber keinen dieser Orte wirklich.
Außerdem ist es meist günstiger länger in einer Stadt zu bleiben. Zum Beispiel
bei der Unterkunft kann man sparen. In einem Monat kann man leicht ein
WG-Zimmer mieten. Zumindest in Lissabon gibt es ein riesiges Angebot, das zwar
vor allem auf Erasmus-Studenten abzielt, aber mit ein bisschen Glück und findet
man auch als Reisender ein Zimmer für einen Monat. Außerhalb des Zentrums
beginnen die Preise bei 180 Euro für einen ganzen Monat. Im Zentrum kosten die
Zimmer ein wenig mehr, etwa ab 250 Euro.
Wir haben relativ leicht und unkompliziert ein Zimmer
übers Internet auch ohne großartige Portugiesisch-Kenntnisse gefunden. Wir
bezahlen 300 Euro pro Monat, weil wir zu zweit sind. Für eine Person hätte das
Zimmer 250€ gekostet. Die Wohnung befindet sich in Graça, einem recht zentralen, wunderschönen, typischen Lissabonner
Bezirk. Das gleiche Geld gibt man locker in einer Woche in einem mehr oder
weniger guten Hotel aus. In dem Preis sind alle Nebenkosten enthalten und es
gibt sogar eine Putzfrau, die einmal die Woche kommt, Bad und Küche putzt und
sogar unser Bett frisch bezieht. Keine Ahnung, ob das portugiesischer Standard
ist, aber ich bin auf jeden Fall sehr dankbar für diesen unerwarteten,
praktischen Service. Die Wohnung hat drei Zimmer und die erste Woche waren wir
ganz allein dort. In der zweiten Woche kam Marija aus Kroatien, die ein
Praktikum in Lissabon macht. Seitdem leben wir immer noch sehr komfortabel in
der Drei-Zimmer-Wohnung. Und vor allem sehr viel authentischer als in jedem
Hotel in einem typischen Lissaboner Wohnviertel abseits der Touristengegenden.
Noch besser wäre es natürlich mit Portugiesen zusammen zu leben, aber auch das
kann man leicht finden, wenn man etwas Mühe und Geduld in die Suche investiert.
Blick aus unserer Wohnung II, Foto: Jorge |
Das Monatsticket für die öffentlichen Verkehrsmittel ist
in Lissabon mit 35€ pro Monat überraschend günstig. Das gilt nicht für die
Einzelfahrten bzw. Tagestickets, die entsprechen mit 1,80€ und 5,50€ eher dem westeuropäischen
Standard. Wir haben uns aber sogar das Monatsticket gespart und sind stattdessen
überall hin gelaufen. Dafür haben wir ungleich mehr von der Stadt gesehen. Wir
sind unzählige der schmalen, verwinkelten Gassen entlang geschlendert, in denen
die frisch gewaschene Wäsche an Leinen vom Himmel baumelt. Wir haben immer
wieder neue, versteckte, niedliche Parks und gemütliche Cafés entdeckt und
frische Blicke auf die Stadt und den mächtigen Tejo Fluss von den unzähligen
"miradouros", den Aussichtspunkten, erlebt. Nach zwei Wochen
schmerzten uns allerdings die Beine ein wenig, so dass wir uns von da an ab und
zu eine Fahrt mit dem Bus oder den niedlichen kleinen Straßenbahnen, die die
teilweise sehr steilen Hügel der Stadt problemlos erklimmen und sich elegant
durch die engen Gassen schlängeln, gönnten. Wenn man dabei auch noch Geld
sparen möchte, guckt man sich einfach die Tricks der Lissabonner ab. Die hängen
sich zum Beispiel von außen an die Straßenbahn dran. Gut, das machen hauptsächlich männliche Jugendliche. Keine Ahnung, ob des Spaßes wegen oder um
das Ticket zu sparen. In der Metro kann man sich einfach dicht hinter eine
Person stellen und dann schnell mit durchlaufen, wenn diese ihr Ticket löst und
sich die Schranken öffnen. Funktioniert. Ich habe schon einige Leute mit meinem
Ticket „mitgenommen“.
Die Linie 28 fährt durch die wunderschönen und sehr unterschiedlichen Stadtteile Graça, Alfama, Baixa und Lapa und eignet sich wunderbar für eine günstige Sightseeing-Tour, Foto: Jorge |
Zu Fuß in Lissabon unterwegs zu sein bedeutet auch,
ständig jede Menge teilweise ziemlich steile Hügel auf und ab zu laufen. Und
wir wohnen natürlich auch noch auf einem hohen Hügel. Die Aussicht auf den Tejo
Fluss von unserer Wohnung aus ist super, aber ein bisschen Kondition braucht
man hier schon. Oft genug wachen wir am Morgen mit Muskelkater in den Beinen
auf. Andererseits ist das ein super Ausgleich zu den Unmengen an süßem Gebäck,
dass hier an jeder Ecke feilgeboten wird. Portugal ist wirklich das Land der
Desserts und Süßspeisen. Ich habe noch nie eine solche Dichte an Bäckereien
erlebt, die ihre unglaublich Vielfalt an Torten und Leckereien auch noch
unübersehbar im Schaufenster ausstellen müssen.
In den ersten Tagen aßen wir beinahe täglich ein
Pastel de Nata - das typischste und leckerste portugiesische Gebäck - ein
kleines Blätterteigtörtchen gefüllt mit Pudding. Dafür sind wir bisher allein
dreimal nach Belém gefahren, einen ziemlich abgelegen, aber sehr schönen Bezirk
mit vielen Sehenswürdigkeiten im Westen Lissabons. Hier wurden die begehrten
Törtchen schon im 18. Jahrhundert von den Mönchen und Nonnen des imposanten,
ebenfalls sehr sehenswerten Hieronymus-Klosters hergestellt. In Belém gibt es
immer noch eine traditionelle, äußerst beliebte Bäckerei, die Fábrica dos Pastéis de Nata, die die Törtchen seit 1837 nach altem, streng geheimem und gut behütetem
Rezept herstellt. Leider ist diese Pastelaria sowohl bei Einheimischen als auch
Touristen äußerst beliebt, sodass die Menschen gewöhnlich bis weit auf die
Straße Schlange stehen. Drinnen findet man dann eine weitere Riesenschlange von
Menschen, die auf einen Tisch warten. Es gibt einen extra Bereich für die
Wartenden, obwohl das Lokal wirklich riesig ist und 404 Sitzplätze hat. Da das
Lokal ziemlich verwinkelt ist und über mehrere Räume verfügt, kann man aber
auch einfach ein wenig durch das Café laufen und hoffen, dass irgendwo gerade
jemand aufsteht und sich dann schnell hinsetzen. Das ist zwar nicht gerade fair
den Menschen gegenüber, die in der Schlange im Nebenzimmer warten, aber bei dem
Geruch von Zimt und warmen Puddinggebäck in der Nase fällt es mir persönlich
schwer, genug Geduld aufzubringen, um mich in der Schlange anzustellen.
Süßes im Schaufenster, Foto: Jorge |
Pasteis de Nata i n Belém, Foto: Jorge |
Die Pastelaria "Fábrica dos Pasteis de Belém" an einem überraschend ruhigem Freitag-Nachmittag, Foto: Julia |
Ein weiterer Vorteil an einem einmonatigen Besuch ist,
dass man genug Zeit hat ein wenig von der Sprache zu lernen. So konnten wir hier
sogar einen Portugiesischkurs belegen. Es hat zwar bestimmt eine Woche
gedauert etwas Passendes zu finden, aber das lag allein daran, dass wir nicht
zu viel Geld ausgeben wollten. Wenn man da weniger knausert, geht es wahrscheinlich
schneller. Wir haben letztendlichen einen passenden Kurs im Kulturzentrum inMouraria, einem der traditionellsten und zentralsten Lissabonner Bezirke,
gefunden. Wir hatten zweimal die Woche je zwei Stunden Unterricht, was leider
nicht besonders viel ist, wenn man die Sprache wirklich lernen will. Der Kurs
geht über drei Monate und wir konnten zum Glück auch noch ein Monat nach Beginn
des Kurses einsteigen. Das war für uns ok, da wir Spanisch sprechen und so
schon relativ viel verstehen konnten. Eigentlich sollte der
Kurs 35 Euro pro Monat kosten, aber als unsere Lehrerein hörte, dass wir keinen
Job haben meinte sie ganz selbstverständlich: „Also wer keine Arbeit hat,
braucht bei uns auch nichts zu bezahlen.“ Gute Einstellung, sollte öfter so gehandhabt
werden!
Überhaupt gibt es in Lissabon, wie wahrscheinlich in den
meisten größeren europäischen Städten, zahlreiche kostenlose Kulturangebote.
Bei einem abendlichen Spaziergang durch die Stadt entdeckten wir zum Beispiel
ein tolles zweiwöchiges kostenloses Filmfestival, bei dem wirklich gute Filme
aus aller Welt gezeigt wurden. Die erste Woche hatten wir leider verpasst, aber
die darauffolgende Woche waren wir dann jeden Abend im Kino. Auf Facebook gibt
es eine sehr praktische Seite, die regelmäßig über kostenlose, kulturelle
Events in Lissabon informiert und außerdem auch eine Monatsübersicht über alle
kostenlosen Veranstaltungen erstellt. Das Angebot ist so groß, dass man locker
einen ganzen Monat damit verbringen kann, kostenlose Ausstellungen, Filme,
Galerien, Museen, Konzerte etc. zu besuchen. Einfach Fan der Seite Cultura Grátis em Lisboa werden und sich informieren lassen.
Seit fünf Jahren gibt es im November außerdem das Festival imigrARTE, ein kostenloses Event, das von Immigranten und entsprechenden
Vereinen organisiert wird. Am dritten Novemberwochenende gab es zahlreiche kostenlose
Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen an einem zentralen Veranstaltungsort in
Lissabon. Außerdem bereiten die Immigranten-Communities traditionelle Gerichte
aus ihren Herkunftsländern zu und verkaufen sie für wenig Geld auf dem Festival.
Portugal soll das Land in Europa sein, das seine Immigranten am besten in die
Gesellschaft integriert. Zumindest habe ich das im spanischen Radio gehört, kurz
bevor wir nach Portugal fuhren. Nach meinem einmonatigen Aufenthalt hat sich
dieser Eindruck auf jeden Fall bestätigt. Lissabon ist wie die meisten
westeuropäischen Großstädte ein bunter Mix der unterschiedlichsten Kulturen. Es
gibt vor allem viele Menschen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien wie Mozambique,
Angola und Brasilien, aber auch
zahlreiche Osteuropäer und Asiaten, die sich hier dauerhaft niedergelassen
haben. Diese leben aber nicht alle zusammen in einem Bezirk und bilden eine Art
Parallelgesellschaft, wie das zum Beispiel in Berlin und anderen europäischen
Großstädten der Fall ist, sondern scheinen wirklich mit der einheimischen
Gesellschaft zusammen zu leben.
Unsere Zeit in Lissabon neigt sich nun dem Ende zu.
Morgen fahren wir mit dem Schiff nach Recife, Brasilien, und freuen uns schon
sehr auf die tropischen Temperaturen. Auch in der sonnigsten Hauptstadt Europas
wurde es ab Mitte November ein wenig kühl. Es schien zwar während des gesamten
Monats die Sonne, was unglaublich schön und unerwartet war. Ich hatte im
November schon mit ein paar verregneten, grauen Tagen gerechnet, aber das gab
es hier absolut nicht. Nur zu Beginn hat es einmal geregnet, aber das war so
ein feiner Nieselregen, dass man ihn kaum wahrgenommen hat.
Das Problem sind eher die schwachen oder in den meisten
Fällen nicht vorhandenen Heizungen. Das wird bei um die 7 Grad nachts und ca.
12-13 Grad tagsüber, die wir momentan haben, doch manchmal etwas ungemütlich. Und
es ist erst November. Keine Ahnung wie es im Winter ist. In Lissabon ist es
gang und gäbe, dass die Wohnungen keine Heizung haben. Wir haben sogar das
große Glück eine in unserem Zimmer zu haben, aber die ist so mickrig und
schwach, dass sie kaum einen spürbaren Effekt erzielt. An allen Ecken in
Lissabon werden deshalb diese kleinen elektrischen Heizkörper verkauft,
vielleicht helfen die ja ein wenig. Aber so richtig gemütlich stelle ich es mir
im Winter trotzdem nicht vor. Auch die Cafés, Restaurants und Bars sind meist
nicht geheizt, so dass man an kühlen Abenden auch dort nicht hineinflüchten kann.
So richtig ist mir das aber erst aufgefallen als wir Mitte November einen Trip
nach Coimbra machten, eine sehr schöne kleine Studentenstadt ca. 200km nördlich
von Lissabon. Da war es nochmal um einiges kälter, so um die 5-6 Grad am Abend.
Da waren die unbeheizten Bars und Cafés wirklich ärgerlich. Umso schöner war es
dann nach Lissabon zurückzukehren. Hier ist doch spürbar wärmer als im Norden
des Landes.
Der Winter stelle ich mir trotzdem etwas ungemütlich vor.
Die beste Zeit, um Lissabon zu besuchen ist daher wahrscheinlich entweder im Frühjahr
von März bis Mai oder September bis Oktober. Der Vorteil im November war
allerdings, dass auch deutlich weniger Touristen unterwegs waren.
Ausflug nach Coimbra, eine der ältesten Studentenstädte Europas, Foto: Jorge |
Coimbra vom anderen Ufer des Mondego, Foto: Jorge |
Im botanischen Garten in Coimbra, Foto: Jorge |
Park in Coimbra, Foto: Jorge |
Morgen beginnt also der nächste
Teil unserer Reise. Wir werden mit einem Kreuzfahrtschiff nach Brasilien
fahren. Eigentlich ist das überhaupt nicht meine Art zu reisen, da ich sonst
eher mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs bin, gerne trampe und bei Couchsurfern
übernachte. Aber man muss auch mal was Neues ausprobieren und im schlimmsten Fall
weiß man danach, warum man diese Art des Reisens kritisiert. Ursprünglich wollten wir mit dem Segelboot den Ozean überqueren,
aber sind dann doch aufgrund mangelnder Segelerfahrungen und anderer
Überlegungen davon abgekommen. Für die Zukunft kann ich mir das aber auf jeden
Fall nochmal vorstellen. Aber vielleicht ist es gut, den Ozean erstmal in etwas
komfortablerer Weise zu überqueren, um herauszufinden, ob das überhaupt etwas
für einen ist.
Für die
Atlantiküberquerung gibt es unglaublich günstige Angebote der
Kreuzfahrtgesellschaften. Das liegt wahrscheinlich daran, dass nicht besonders
viele Menschen daran interessiert sind mit dem Schiff nach Amerika zu
fahren. Man ist eben neun Tage nur auf dem Ozean unterwegs, hält nirgendwo an,
macht keine Ausflüge und sieht nur das Meer. Fliegen ist eben viel
schneller. Die Schifffahrtsgesellschaften müssen aber ihre Boote über den Ozean
bringen, denn in Europa ist die Saison zu Ende und im europäischen Winter werden Touren in der Karibik angeboten. Hier in Lissabon haben wir in den Reisebüros
gesehen, dass die Gesellschaft mit der wir fahren ordentlich Werbung für die
Reise nach Recife macht. Mittlerweile sind sie nochmal um 100€ mit dem Preis
runtergegangen. Es lohnt sich also mit der Buchung bis zum letzten Moment zu
warten. Dann wird es sogar billiger als Fliegen und man bekommt außerdem eine
9-tägige Schifffahrt mit Unterkunft, Vollverpflegung, Unterhaltungsprogramm und
den ganzen Annehmlichkeiten, die eine Kreuzfahrt so bietet. Was allerdings noch
so an zusätzlichen Kosten an Bord auf uns zukommt, wissen wir noch nicht.