Am Mittwoch ging es dann also endlich los. Wir starteten vom
Rasthof Grunewald, der sehr gut von der S-Bahnstation Nikolassee zu erreichen
ist. Das war immer
die Haltestelle, an der ich aussteigen musste, um an den Wannsee zu meinem
Segelkurs zu laufen. So schloss sich der Kreis also wieder. Außerdem befindet sich die Raststätte an der Spanischen Allee. Da wusste
ich, dass wir hier Glück haben würden.
Erstmal sah es wenig vielversprechend aus, da kaum Autos
unterwegs waren und es außerdem noch andere Tramper gab, die die Leute an der
Tankstelle direkt ansprachen. Wir stellten uns an die Ausfahrt, Jorge malte in
Schönschrift Köln auf ein Stück Pappkarton und ich streckte jedem
vorbeifahrendem Wagen den Daumen entgegen. Neben uns warteten ein jüngerer Typ
und seine Mutter auf die Mitfahrgelegenheit nach Bielefeld für den Jungen, die
sie zuvor über das Internet organisiert hatten. Sie guckten uns ein wenig
mitleidig an als wir erzählten, wir wollten per Anhalter nach Köln fahren. Bei
den Zehlendorfern würden wir sicher wenig Erfolg haben, meinte die Mutter. Wir
könnten froh sein, wenn sie uns nicht mit Eiern bewerfen, bemerkte der Junge.
Wir wandten uns etwas genervt ab. Trotzdem waren auch wir aufgrund der wenigen
Fahrzeuge etwas skeptisch und dachten schon über Alternativen nach.
Aber nach gar nicht allzu langer Zeit stoppt plötzlich ein kleiner weißer Transporter. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und meint fast
entschuldigend bis Köln könne er uns nicht mitnehmen, aber er fahre nach
Hannover und könne uns dort absetzen. Das war für uns natürlich ein totaler
Glückstreffer, gleich vom ersten Fahrer fast 300km, die Hälfte der geplanten Tagesstrecke,
mitgenommen zu werden. Der Junge und seine Mutter, die immer noch auf die
Mitfahrgelegenheit für den Jungen warteten, verfolgten mit großen Augen, wie
wir unsere Rucksäcke in den leeren Transportraum schmissen und uns auf die zwei
Beifahrersitze neben unseren Fahrer schwangen. Vorher fragten sie noch, ob er
uns bis nach Köln fahre. Jorge, der die Frage glaube ich nicht richtig
verstanden hatte, rief vor dem Einsteigen nach „Ja!“ und schon fuhren wir der
Autobahnauffahrt entgegen.
Schon in der S-Bahn auf dem Weg nach Nikolassee fragte ich
mich, wer wohl unser erster Fahrer sein würde. In einem Blog von drei Jungs,
die ebenfalls nach Südamerika getrampt sind, habe ich nämlich gelesen, dass ihr
erster Fahrer von einer Insel im Atlantik war, auf der sie später mit dem
Segelboot auch wirklich gehalten haben. Im Rückblick setzen sich oft Puzzleteile
zusammen, die vorher völlig zufällig und unzusammenhängend erscheinen.
Unser erster Fahrer war dann auch tatsächlich kein Deutscher.
Woher kam er also?
Aus Russland. Sibirien. Novosibirsk…
Ich fand das lustig, weil ich eben gerade noch in der S-Bahn
über die Geschichte von den drei Jungs nachdachte. Wer weiß wohin uns diese
Reise bringen wird. Eine gewisse Russlandaffinität meinerseits kann ich
sicherlich nicht abstreiten. Und Jorge findet eh alles toll, was irgendwie mit
Kommunismus zu tun hat. Aber jetzt geht es ganz sicher erstmal nach Kolumbien
und hoffentlich noch in ein paar andere südamerikanische Länder. Vielleicht
Kuba.
Im Auto bat ich unserer sympathischen Fahrer auch gleich
doch bitte wieder den russischen Radiosender einzuschalten, den er hektisch
abgestellt hatte als wir einstiegen. Und so dudelte uns der vertraute russische
Singsang entgegen, den Jorge aus seiner Zeit in Usbekistan kennt und mich
ebenfalls an meine Reise nach Belarus, Russland und Usbekistan im letzten Jahr
erinnerte.
Unser Fahrer, der einen typisch russischen Namen hatte und
den ich hier einfach Andrej nennen werde, erzählte uns dann auch einiges aus
seinem Leben. Nach dem Ende der Sowjetunion kam er gemeinsam mit seiner Frau,
einer Russlanddeutschen, nach Berlin. Er erzählte uns mit welchen Jobs er sich
seit dem in Deutschland über Wasser gehalten hat. Viele Jahre lang arbeitete er
als Lkw-Fahrer, obwohl er diesen Job nicht mochte. Er konnte viel zu wenig Zeit
mit seiner Familie verbringen und die Arbeit war schlecht bezahlt. Außerdem
wurde er von seinen Vorgesetzten oft dazu gedrängt, die gesetzlich
vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einzuhalten. Wurde er dann dabei erwischt,
musste er die Strafe selbst bezahlen. Er erzählte uns, dass er viele Jahre als
Fahrer für eine Bäckerei arbeitete, von ein Uhr nachts bis neun Uhr morgens. Aber
er war froh, nicht mehr am Wochenende arbeiten zu müssen. Als er sich dann eine
Wohnung in Hohenschönhausen kaufen wollte, die für 38.000€ zum Verkauf
angeboten wurde, wollte ihm die Bank aufgrund seines geringen Gehalts keinen
Kredit geben. Zwei Euro mehr müsse er pro Stunde verdienen, sagten sie ihm.
Andrej bat bei seinem Arbeitgeber um eine Gehaltserhöhung, die sie ihm nicht
geben wollten. So wurde aus der eigenen Wohnung nichts, denn nochmal würde so
ein günstiges Angebot nicht kommen, davon ist zumindest Andrej überzeugt. Und
mehr als 38.000 Euro könne er sich definitiv nicht leisten. Heute arbeitet er wieder
als Fahrer, für eine ukrainische Firma, die Wodka in Deutschland vertreibt. Es
tat mir echt leid, dass sich so ein sympathischer, hilfsbereiter und gegenüber 'Fremden' so aufgeschlossener Mensch mit solchen merkwürdigen, schlecht
bezahlten Jobs durchschlagen muss. Aber irgendwie schien er auch nicht viel
mehr vom Leben zu erwarten.
Nach einer bewegten Fahrt ließ uns Andrej dann an einer
Raststätte kurz vor Hannover heraus. Da machten wir erstmal eine ausgiebige
Mittagspause und aßen unsere mitgebrachten Brote an einem der Picknicktische.
Danach stellten wir uns wieder an die Ausfahrt. Ich habe keine Ahnung mehr wie
lange wir warteten, aber im Nachhinein erscheint es mir sehr kurz. Kaum standen
wir dort fuhr auch schon ein roter Audi A2 langsam auf uns zu, erst wurde er
immer langsamer, dann auf einmal wieder schneller, fuhr an uns vorbei, stoppte,
fuhr wieder langsam an. Wir wussten nicht so wirklich, was das bedeuten sollte.
Aber ich beschloss hinterher zu laufen. Hinter dem Steuer saß ein etwas
verwirrter Mittvierziger mit Hipster-Brille und quietsch-grünem T-Shirt und teilte mir mit, er könne sich
nicht entscheiden, ob er uns mitnehmen wolle oder nicht. Das war schon so
bezeichnend für diesen Schweizer Künstler, der unser zweiter und letzter Fahrer
an diesem Tag werden sollte. Er wüsste nicht, ob es genug Platz für unser
Gepäck gäbe. Wir könnten es ja einfach mal probieren, wand ich ein. Gesagt,
getan, es passte alles ganz gut rein. Kaum saßen wir dann im Wagen, teilte er
uns mit, er würde zwar nach Köln fahren, aber er wisse noch nicht, ob er uns
wirklich die gesamte Strecke mitnehmen könne. Manchmal brauche er Zeit zum
Reflektieren und das könne er beim Autofahren so gut, aber nur wenn er allein
ist. Ich beschwichtigte, er könnte uns jederzeit unterwegs an einer Raststätte
absetzen, das sei gar kein Problem, wir wären froh über jedes Stück das wir uns
fortbewegen. Wie schon erwähnt hatten wir Glück und er hat uns unterwegs nicht
mehr rausgeschmissen.
So waren wir also schon am frühen Nachmittag in Köln und
beide ganz enthusiastisch, da wir morgens noch keine Ahnung hatten, wo wir
eigentlich landen würden. In Köln angekommen liefen wir zuerst zum Dom, bewunderten
das imposante Bauwerk von einem schattigen Plätzchen aus und verdrückten unseren
restlichen Proviant. Bereits im Auto hatte Jorge zwei Freunde von ihm
kontaktiert, die in Köln wohnen. Leider konnte er einen nicht erreichen, aber
die andere, Friederike, hatte zum Glück Zeit für uns und wir konnten sogar bei
ihr übernachten. Auf einmal hatten wir also auch noch eine Unterkunft in Köln.
Wir verbrachten den Rest des Nachmittags am Rheinufer, wo wir abends auch
Friederike trafen. Später kochten wir gemeinsam in Friederikes Wohnung und
gingen früh schlafen, da wir ziemlich geschafft waren von diesem faszinierenden
ersten Tag. Ich glaube es ist ein gutes Zeichen für unsere Reise, dass wir so
einen guten Start hatten.
Am nächsten Tag ging es sehr viel langsamer voran. Wir
brauchten eine Weile, um zu der Tankstelle zu gelangen, von der aus wir starteten.
Im Internet kann man sich für jede größere Stadt geeignete Abfahrtsorte für das
trampen raussuchen. Auf der Webseite Hitchwiki zum Beispiel findet man Informationen
über günstige Startpunkte und wie diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw.
zu Fuß zu erreichen sind.
Die Tankstelle zu der wir fuhren, befand sich kurz vor der
Autobahnauffahrt. Eigentlich keine schlechter Standpunkt, nur hielten dort sehr
wenige Autos. Und an die Straße konnten wir uns nicht stellen, da die Autos
dort keine Haltemöglichkeit hatten. Gleich am Anfang hielten zwar drei Autos,
aber niemand fuhr in unsere Richtung. Wieder gab es zwei andere Tramper, die an
der Tankstelle die Leute direkt ansprachen. Auch sie hatten keinen Erfolg. Es
vergingen bestimmt 1,5 Stunden bis die anderen beiden eine Mitfahrgelegenheit
fanden. Da fassten wir auch wieder Mut. Ich probierte es dann auch damit, die
Leute direkt anzusprechen. Alle waren sehr freundlich und aufgeschlossen mir
gegenüber, nur fuhr tatsächlich niemand in unsere Richtung. Nach eine Weile
stellte ich mich wieder zu Jorge, der mit seinem Aachen-Schild immer noch an
der Ausfahrt stand und es vergingen keine zwei Minuten, da hielt plötzlich ein
junger Mann in Bundeswehruniform.
Phillip war vor kurzem selbst in Malaysia per Anhalter
unterwegs und freute sich nun sichtlich, selbst Leute mitnehmen zu können. Oft
wurden wir von Menschen mitgenommen, die selbst schon per Anhalter gefahren
sind. Als ich neben Phillip saß, erinnerte ich mich daran, wie ich in diesem
Blog schrieb, dass man durchs Trampen oft mit Leuten in Kontakt kommt, die man
sonst nicht kennenlernen würde. Nun saß ich also neben einem
Bundeswehrsoldaten. Und irgendwann erzählt er uns tatsächlich aus seiner Zeit
in Afghanistan und wie einmal unter einem Auto, das direkt vor ihm fuhr, eine
Bombe explodierte. Der Wagen war gepanzert, so dass die Insassen mit einer
Gehirnerschütterung und wahrscheinlich einem ordentlichen Schock davon kamen.
Er erzählte uns, welchem enormen Stress die Soldaten in Afghanistan ausgesetzt
sind und dass er selbst Glück gehabt habe, nur vier Monate dort zu sein.
Außerdem teilte er uns noch mit, wie sehr ihm die Antikriegshaltung vieler
Deutscher zu schaffen mache. Diese „aggressiven Pazifisten“, wie Phillip sie
nennt, gäben ihm ständig zu verstehen, er sei ein schlechter Mensch. Er habe
kaum noch Freunde außerhalb der Bundeswehr, da sich viele aufgrund seines
Berufes abgewandt hätten. „Wenn man nach vier Monaten äußerster Belastung und
Ausnahmezustand aus Afghanistan zurückkehrt und am Flughafen als erstes die
‚Soldaten sind Mörder‘ Schilder sieht, dann kann einen das richtig fertig
machen“, erzählte uns Phillip. Das führe dann dazu, dass sich die Soldaten immer
mehr in ihren eigenen Kreis zurückzögen und mit dem Außen kaum noch etwas zu
tun haben wollen. Auch wenn ich sicherlich nicht mit allem einverstanden war,
was Phillip uns etwas erregt während unserer einstündigen Fahrt erzählte, war
es interessant sich seine Perspektive anzuhören.
Phillip war dann sogar so nett, uns noch ein Stück weiter
direkt bis an die belgische Grenze zu fahren. Dort machten wir wieder unsere
ausgiebige Mittagspause und liefen dann rüber nach Belgien. Wir stellten uns
selbstbewusst mit einem Paris-Schild an die Ausfahrt. Aber es waren wieder mal
sehr wenig Autos unterwegs und außerdem war es an diesem Tag richtig heiß, so
dass uns auch die Sonne zu schaffen machte. Bald änderten wir unser Schild in
Mons, eine kleine belgische Stadt kurz vor der französischen Grenze. Damit
hätten wir vielleicht mehr Erfolg, dachten wir. Irgendwann, nach einer
gefühlten Ewigkeit, kam dann ein riesiger Lkw neben uns zum Halten. Wir
kapierten erst nicht, dass dieses Riesenfahrzeug tatsächlich stoppt, da sonst
nie Lkws halten. Anscheinend wird es den Fahrern von ihren Firmen verboten,
Anhalter mitzunehmen. Na ja man muss ja nicht immer auf alles hören, was der
Chef sagt.
Der freundliche Mensch, der nun neben uns hielt, winkte uns
zu sich hoch. Unsere Rucksäcke durften wir auf sein Bett, das sich direkt
hinter dem Fahrer- und Beifahrersitz befand, schmeißen. Ich setzte mich aufs
Bett und Jorge auf den einzigen Beifahrersitz. Und dann glitten wir mit den
gleichmäßigen 80km/h über die belgische Autobahn. Ich fand dieses Tempo richtig
angenehm, da man die Umgebung viel besser wahrnehmen kann, wenn nicht alles so
an einem vorbei rast.
Unser Fahrer hieß Göksel, war Türke und auf dem Weg nach
England. Er fuhr über Brüssel und hätte uns auf unserer eigentlichen Strecke,
die auf dem direkten Weg nach Paris führte, nur ein kleines Stück mitnehmen
können. Da wir uns beide so wohl in Göksels Fahrzeug fühlten hatten wir aber
wenig Lust gleich wieder auszusteigen. Also beschlossen wir kurzerhand nach
Brüssel zu fahren und dort die Nacht zu verbringen. Göksel sprach ein wenig
Englisch und so erzählte er uns, dass er mit seinem Lkw zwischen Italien und
Großbritannien hin und her fahre. Er bot uns auch gleich eine
Mitfahrgelegenheit für den Rückweg an. Als wir dankend ablehnen mussten, schien
Göksel etwas enttäuscht. Ich glaube, er hat sich wirklich über unsere
Gesellschaft gefreut. Er lud uns dann noch auf eine Fahrt nach Schottland ein,
da er meinte das sei das schönste Land auf seiner Strecke und wir müssten
unbedingt mal dorthin fahren. Wir haben dann Telefonnummern ausgetauscht. Wer
weiß, vielleicht fahren wir irgendwann nochmal mit Göksel nach Schottland.
Ein weiterer Grund, warum wir beschlossen nach Brüssel zu
fahren war, dass Jorge auch dort eine Bekannte hat. Schon aus dem Auto heraus
kontaktierte er Florence und verabredete einen Treffpunkt für den Abend. Als
sie am Telefon hörte, dass wir noch keine Unterkunft haben, lud sie uns auch
direkt zu sich nach Hause ein. So hatten wir wieder spontan eine Unterkunft für
die Nacht gefunden. In Brüssel angekommen schlossen wir unsere Rucksäcke in die
Schließfächer am Bahnhof ein, liefen ein wenig durch die Stadt und picknickten
im Park. Am Abend trafen wir Florence. Wir verbrachten den Abend bei ihr
zuhause mit ihrem Mann und dem 17-monatigen Baby.
Am nächsten Tag brachen wir relativ spät auf, da Florence
frei hatte und wir ausgiebig auf dem Balkon frühstückten. Zum Glück fuhr uns
Florence dann aber zur ersten Tankstelle auf der Autobahn Richtung Paris. So
standen wir um 11 Uhr dort und mussten keine 10 Minuten warten bis das erste
Auto stoppte. Ein ganz lieber Pakistaner, der seit 15 Jahren in Brüssel lebt
und auf dem Weg nach Mons, kurz vor der französischen Grenze, war wurde unser
erster Fahrer an diesem Tag. Er hatte den Laderaum voller Klamotten, die er auf
einen Markt in Mons zum Verkauf anbieten wollte. Wir konnten unsere Rucksäcke
gerade noch mit reinquetschen und schon ging es los.
An der Raststätte kurz vor Mons, an der uns unser
pakistanischer Fahrer raus ließ, sahen wir gleich einen deutschen Reisebus. Wir
erfuhren, dass sie auf dem Weg nach Paris waren, aber leider wollten sie und
nicht mitnehmen. Also stellten wir uns wieder an die Ausfahrt und warteten. Ich
glaube es vergingen wieder weniger als 10 Minuten bis ein schwarzer Alfa Romeo Coupé hielt,
in dem zwei Jungs saßen, die nicht viel älter als 20 waren. Sie fahren nach
Paris und würden uns gern mitnehmen. Juhuuuuuuu! Das war mal wieder ein
Glückstreffer oder wie man in Australien sagen würde: „Too easy!“ Der dritte
Tag machte dem ersten Tag in seiner Leichtigkeit Konkurrenz. Im Auto beschlossen
wir auch ziemlich schnell in Paris zu bleiben, da – Überraschung – Jorge auch
in Paris zwei Mädels kennt, die er gern treffen wollte, „para saludarlas“, um
mal Hallo zu sagen, wie Jorge das dann ausdrückt. Das konnte ich ihm nicht
ausschlagen, obwohl ich an dem Tag gern noch weiter gekommen wäre als bis
Paris. Und anderseits hatten wir auf diese Weise auch für die dritte Nacht eine
Übernachtungsmöglichkeit.
Unsere beiden belgisch-flämischen Fahrer sprachen perfekt
Englisch und erzählten uns einiges über den Nonsens der belgischen Politik und
den Konflikt zwischen der flämischen und walisischen Bevölkerung dieses kleinen
Landes erfahren. Alles lief super bis wir uns der riesigen Agglomeration Paris
nährten. Hier gerieten wir in einen schier endlosen Stau, der sich wie Kaugummi
hinzog. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber wir standen bestimmt zwei
Stunden kurz vor Paris. Das war natürlich ärgerlich für uns, da uns zwei
Stunden unseres Pariser Nachmittags verloren gingen. Aber auf solche Dinge hat
man eben keinen Einfluss.
Endlich in Paris angekommen, suchten wir zuerst ein
kleines Café mit Wifi auf, aßen eine Kleinigkeit und kontaktierten Jorges
Freundinnen über Skype. Leider waren die beiden schon völlig verplant,
schließlich war es auch ein Freitag. Aber glücklicherweise konnten wir uns noch
mit Julie treffen und bei ihr auch übernachten. Sie hatte an diesem Abend zwar
nur kurz Zeit für uns, da sie noch auf eine Party ging und erst am nächsten
Morgen wieder kam. Dafür verabredeten wir uns für den nächsten Tag zum Brunch,
zu dem auch Jorges andere Pariser Bekannte, Carine, kam. So war klar, dass wir
nicht vor dem frühen Nachmittag aus Paris rauskommen würden, aber da Jorge ja
auch gekommen war, um seine Freunde zu treffen, wollten wir den Brunch nicht
absagen. Als ich dann nach dem Brunch die möglichen Abfahrtorte auf Hitchwiki
checkte, war klar, dass es ziemlich schwierig werden würde aus Paris
rauszukommen. Wir hätten mit der Regionalbahn fahren und dann meist noch ein
paar Kilometer laufen müssen. Das ist an sich kein Problem, aber wir hätten
bestimmt zwei Stunden gebraucht, um überhaupt dorthin zu kommen. Eigentlich
wollten wir an diesem Tag noch bis Bordeaux kommen, das wäre auf diese Weise
kaum möglich gewesen. Und das Trampen macht wirklich keinen Spaß, wenn man
unter Zeitdruck steht. Und den habe ich aufgrund des Meditations-Retreats, das
ich wirklich gern besuchen möchte, leider. So ist mir im ersten Abschnitt
unserer Reise das langsame Reisen noch nicht wirklich gelungen. Aber ich mochte
die Spontanität der ersten Tage, einfach nach Köln, Brüssel und Paris zu
fahren, obwohl das gar nicht geplant war, das war schon toll. Ich hoffe nur,
wir haben unsere Gastgeberinnen nicht zu sehr überrumpelt.
Auf jeden Fall wäre es aber schöner gewesen, mehr Zeit an
den jeweiligen Orten zu verbringen. Es war mein erstes Mal in Brüssel und ich
hätte gern ein bisschen mehr von der Stadt gesehen. Auch in Paris hätte ich
gern mehr Zeit verbracht. Und von Paris nach Bordeaux sind wir letztendlich mit
der Mitfahrgelegenheit gefahren. Lieber wäre ich getrampt. Aber so war sicher,
dass wir es noch am selben Tag nach Bordeaux schaffen. Und wir hatten noch ein
paar Stunden vor der Abfahrt um 17.30, um Paris zu erkunden. Die
Standard-Sehenswürdigkeiten haben wir zwar nicht besichtigt, aber wir sind
dafür ein bisschen durch den Bezirk im Norden Paris‘, in dem wir übernachtet
haben, geschlendert. Dabei entdeckten wir den tollen Park Belleville mit einem Wahnsinnsblick über Paris.
Um 17.30 Uhr ging es dann also mit der Mitfahrgelegenheit,
die wir bzw. unsere Gastgeber über das Internet organisiert haben, auf nach
Bordeaux wo wir 22.30 Uhr ankamen. Die Leute setzten uns freundlicherweise am
Campingplatz ab, der sonst schwer für uns zu erreichen gewesen wäre. Viel mehr
ist über die Personen, mit denen wir gefahren sind aber auch nicht zu erzählen.
Wir haben uns kaum mit ihnen unterhalten. Sie zeigten wenig Interesse uns
gegenüber. Und auch ich muss gestehen, dass ich ganz froh war meinen Computer
ohne schlechtes Gewissen rausholen zu können und die Zeit zu nutzen, um diesen
Blogeintrag zu schreiben. Sicher war ich in diesem Moment froh über diese
Möglichkeit, aber trotzdem merkte ich daran sehr deutlich, wie Geld unsere
Beziehungen zueinander verändert. Dadurch, dass wir für die Fahrt bezahlt
hatten, waren wir für den Fahrer einfach ein Mittel zum Zweck. Er konnte seine
Benzinkosten reduzieren oder, bei dem Preis den wir dafür zahlten, vielleicht
sogar ganz abdecken. Er tat uns dafür den Gefallen, uns bis nach Bordeaux
mitzunehmen. Damit war die Sache erledigt. Darüber hinaus musste sich niemand
die Mühe machen, sich mit dem anderen zu beschäftigen, sich auf ihn einzulassen
und kennenlernen zu wollen. Beim Trampen trifft man sich auf einer ganz
anderen, viel menschlicheren Ebene. Das wäre mit diesen Leuten vielleicht auch
möglich gewesen, aber wie gesagt war ich ja auch froh, die Zeit produktiv zu
nutzen und mir mal keine Mühe geben zu müssen, die anderen kennenzulernen. Das
habe ich mir aber nur ‚erlaubt‘, weil wir für die Fahrt bezahlt haben.
Am nächsten Tag entschieden wir spontan, mal nicht gleich
weiter zu fahren, sondern den ganzen Tag in Bordeaux zu verbringen und erst am
Montag aufzubrechen. Die Zeit war ohnehin knapp und ich vertraute einfach
darauf, dass ich es irgendwie bis Dienstag nach Madrid schaffen würde, wenn
nötig mit dem Bus. Das war auf jeden Fall eine gute Entscheidung, auch wenn wir
die erste Hälfte des Tages auf dem Campingplatz vertrödelten, da wir auch noch
unsere Wäsche waschen wollten. Der Nachmittag in Bordeaux hat sich aber auf
jeden Fall gelohnt. Wir haben die schöne Altstadt besichtigt, eine tolle
kostenlose Kunstausstellung entdeckt und den unterschiedlichsten Musikern
entlang des Flussufers gelauscht. Da waren wirklich talentierte Menschen dabei.
Außerdem gab es ein kleines Salsa-Event am Flussufer. Es war also sehr viel
los, wir hatten wohl Glück an einem Sonntag dort zu sein.
Am nächsten Tag sind wir dann blitzschnell ins Baskenland
gekommen. Mit nur zwei Fahrern und jedes Mal weniger als 10 Minuten Wartezeit
haben wir es bis zum Mittag ins 240 km entfernte Bayonne, kurz vor Biarritz,
geschafft. Das ist eine hübsche kleine Stadt im Baskenland. Wir ließen uns
bestimmt zwei Stunden Zeit, um die Stadt zu besichtigen und Mittag zu essen.
Danach stellten wir uns an die Straße, die nach Biarritz und San Sebastian
führte. Obwohl wir einen wirklich guten Platz gefunden hatten, an dem die Autos
sehr gut halten konnten und außerdem sehr viel Verkehr war, dauerte es eine
Weile bis die erste Fahrerin hielt. Daran merkten wir schon, dass die Fahrt per
Anhalter nun schwerfälliger sein würde. Wir näherten uns der spanischen Grenze.
Die Frau konnte uns leider nur ein kleines Stück mitnehmen. An der nächsten
Stelle war es dann dasselbe: Super Spot, viel Verkehr, aber es dauerte eine
Weile bis jemand hielt. Wieder fuhr er aber nur ein paar Dörfer weiter und so
kleckerten wir über die baskischen Dörfer. Auf diese Weise haben wir aber sehr
viel vom französischen Baskenland gesehen. Für mich war es das erste Mal in dieser
wunderschönen, pittoresken Region. Die Straßen schlängeln sich durch die
traumhaft grüne, bergige Landschaft und bieten teilweise atemberaubende
Ausblicke auf das in der Sonne silber-blau funkelnde Meer. So bin ich echt
dankbar für das langsame Vorankommen an diesem Tag, das einen unvergesslichen
Eindruck von dieser Region bei uns hinterließ. Unser zweiter Fahrer ließ uns
auch direkt am Strand in einem kleinen Ort raus und so ließen wir es uns nicht
nehmen, noch ein Stündchen am Strand zu verbringen und unsere Füße im kühlen
Atlantik zu erfrischen.
Unser nächster Fahrer fuhr uns dann über die Grenze und so
erreichten wir endlich Spanien. Da es schon ziemlich spät war, beschlossen wir
den Zug nach San Sebastian zu nehmen. Dort kauften wir ein Ticket für den
Nachtbus nach Madrid, da wir es anders nicht mehr schaffen würden und nachts
auch nicht trampen wollten. Dafür hatten wir nun noch einen ganzen Abend in San
Sebastian bevor unser Bus um 00.30 Uhr abfahren würde. Wir setzten uns in ein Café,
Jorge machte sich – von der Last des Rucksacks befreit – auf, die Stadt zu
erkunden und ich, die ich vor vier Jahren schonmal dort war,
blieb im Café, um weiter an diesem Blogeintrag zu schreiben. Anschließend aßen
wir dann noch in einem Restaurant. Da es im Baskenland das beste Essen in ganz
Spanien gibt, wollten wir uns diese Chance nicht nehmen lassen. Bevor der Bus
abfuhr schlenderten wir noch gemeinsam ein wenig durch die wunderbare laue
Sommernacht. Am nächsten Morgen um 07.30 Uhr kamen wir dann sogar ziemlich
ausgeschlafen in Madrid an, da wir beide fast die ganze Fahrt durchgeschlafen
haben. Wir frühstückten in einem Café und hatten dann noch knapp drei Stunden,
um durch Madrid zu laufen, bevor mein Bus um 11 Uhr nach Candeleda abfuhr, wo
ich an dem Meditations-Retreat teilnehmen werde.
Wären wir direkt nach Madrid geflogen, wie ursprünglich mal
geplant war, hätten wir das alles nicht erlebt, all die wunderbaren Menschen
nicht getroffen, wir hätten Jorges Freunde nicht besucht und die zahlreichen
zauberhaften Orte nicht gesehen. Dazu gehört vor allem der französische Teil
des Baskenlands, aber auch Bordeaux und Brüssel, wo ich zum ersten Mal war. Sicherlich
war es ein Wehmutstropfen, nicht mehr Zeit an den Orten verbringen zu können.
Daran zeigt sich, dass man nicht langsam genug reisen kann. Schöner wäre es
gewesen keinen Termin zu haben, an dem wir in Madrid sein müssen. Einfach dort
zu bleiben, wo es uns gefällt, so lange wir Lust dazu haben. Einfach spontan Orte
zu besuchen, zu denen unsere Fahrer und, wenn auch seltener, Fahrerinnen
unterwegs sind. Aber während des ersten Teils unserer Reise sollte es leider
nicht so sein. Wir haben trotzdem jede Menge erlebt und die Reise sehr
genossen.
Nun sitze ich im Bus, schreibe diesen Eintrag zu Ende und
hoffe, dass ich in dem kleinen Ort noch Internet finden werde, um ihn online zu
stellen. Danach werde ich zehn Tage lang keinen Kontakt zur Außenwelt haben.
Nicht mal mit den anderen Kursteilnehmern werde ich mich unterhalten können,
darf kein Telefon oder Computer benutzen, keine Bücher lesen oder mich sonst
irgendwie ablenken. Wir werden jeden Tag um 4 Uhr früh aufstehen und zehn
Stunden meditieren. Nicht am Stück, sondern mit Pausen dazwischen. Langsam
werde ich mir bewusst, dass das ziemlich hart werden könnte. Aber ich glaube es
gibt einen guten Grund dafür, dass ich diesen Kurs unbedingt machen will. Im
letzten Jahr sind mir immer wieder Menschen begegnet, die es gemacht haben und
mir rieten, es auch zu probieren. Wenn man ständig vom Leben mit der Nase
draufgestoßen wird, sollte man sich einfach darauf einlassen. Im nächsten
Eintrag schreibe ich dann mehr über die Vipassana-Methode und meine Erfahrung
während des 10-tägigen Retreats.