Seiten

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Mit dem Schiff über den Atlantik: In 9 Tagen von Europa nach Lateinamerika

Für unsere Reise nach Südamerika hatten wir uns fest vorgenommen mit einem Schiff oder Boot zu fahren, anstatt einfach in ein Flugzeug zu steigen. Wir wollten die wahre Entfernung zwischen den Kontinenten spüren. Erfahren wie es ist, tagelang nichts als den Ozean zu sehen. Uns langsam unserem Reiseziel nähern, statt nach ein paar Flugstunden an einem anderen Fleck der Erde auszusteigen. 

Niemals hätte ich zu Beginn unserer Reise gedacht, dass wir den Atlantik ausgerechnet mit einem Kreuzfahrtschiff überqueren würden. Allein schon wegen unseres Budgets und weil ich nie darauf gekommen wäre überhaupt nach Angeboten zu suchen. Jorge fand das Angebot von Pullmantur, eine spanische Schifffahrt-Gesellschaft, im Internet. Für knapp 400 Euro kann man die neuntägige Schiffsreise von der portugiesischen Hauptstadt nach Recife im Nordosten Brasiliens antreten. Man bekommt dafür eine komfortable Kabine mit Meerblick, Vollverpflegung und Getränke (Erfrischungsgetränke, Saft, Wasser, Wein, Bier) inklusive. Und wird nebenbei nach Südamerika geschifft. Der Preis ist nur ein Bruchteil davon, was man sonst für so eine Kreuzfahrt bezahlt. Es war das erste Mal, dass sie auf der Atlantiküberquerung Passagiere mitgenommen haben. Offenbar gibt es dafür noch nicht genug Nachfrage. Auf dem Schiff waren gerade mal 200 Passagiere, Platz gäbe es für 1800. In der letzten Woche vor der Abfahrt sind sie mit dem Preis nochmal runtergegangen, sodass die Fahrt für 300 Euro zu haben war. Es lohnt sich also bis zum letzten Moment zu warten und auch bei anderen Gesellschaften nachzuschauen, da die meisten ihre Schiffe im Winter in den Süden bringen und man da oft recht günstig mitfahren kann.

Bildunterschrift hinzufügen

Kurz vor der Abfahrt in Lissabon 

Bye bye Lisboa, sicher nicht für immer


Neun Tage dauert die Fahrt von Lissabon nach Recife, der fünftgrößten Stadt im Nordosten des fünftgrößten Landes der Welt, das fast die Hälfte des lateinamerikanischen Kontinents bedeckt, nämlich 47 Prozent. Es war wirklich faszinierend tagelang nur von dem endlos weiten Wasserteppich umgeben zu sein. Besonders zu Beginn waren wir wie elektrisiert von dem Anblick und starrten stundenlang auf die unendlichen Wassermassen, auf denen die Sonne funkelte, und bestaunten den hellblau leuchtenden Himmel mit seinen formschönen Zuckerwatte-Tupfern. Während unserer Reise fuhren wir mehrmals an Inseln vorbei: am dritten Tag an Teneriffa, am fünften Tag an den kapverdischen Inseln und am vorletzten Tag konnten wir bereits Brasilien begrüßen, als wir die zum Land gehörigen Fernando de Noronha Inseln passierten. Die Inseln kündigten sich stets damit an, dass auf einmal Vögel am Himmel zu sehen waren. Manchmal schon Stunden bevor die Inseln überhaupt in Sicht waren.








Besonders beeindruckend ist auf dem offenen Meer der Sonnenauf- und –untergang. Den Sonnenaufgang habe ich leider bis auf zweimal verschlafen, weil der immer zu unterschiedlichen Zeiten und außerdem immer früher passierte. Dafür haben wir jeden Abend dabei zugeschaut wie der glühende gelb-leuchtende Feuerball hinterm Horizont verschwindet und wurden mit fantastischen Farbenspielen am Himmel belohnt. Jorge hatte außerdem einmal das Glück ein paar Delfine zu sichten. Das ist mir leider nicht gelungen, obwohl ich viel Zeit damit verbrachte, den unendlichen Ozean zu bestaunen. Auch wenn es dort nicht viel zu sehen geben scheint, verändert sich die Aussicht doch ständig. Die Wellen sind mal mehr, mal weniger hoch. Die Farbe des Ozeans veränderte sich. Je weiter wir raus fuhren, umso mehr verwandelte sie sich in ein tiefes Indigo-blau, wogegen sie zu Beginn eher blau-gräulich schien und kurz vor Recife einen  intensiven Türkiston annahm. Die Sonne spiegelt sich unterschiedlich intensiv auf dem Ozean und die Wolkenformationen ändern sich ständig. Manchmal erblickt man in der Ferne andere Schiffe, vor allem Containerschiffe und Segelboote, sowie winzig kleine Inseln, die eher Felsen im Meer gleichen.












Wem das Betrachten des Ozeans irgendwann zu langweilig wird, hat auf so einem Kreuzfahrtschiff natürlich unglaublich viele Möglichkeiten sich abzulenken. Den ganzen Tag über gibt es ein Programm. Von Musik-, Film-, Länder- und was weiß ich für Quizze über Karaoke, Tanzstunden, Kreativitätsworkshops und dem obligatorischen Bingo. Außerdem gab es einen Fitnessraum, ein Casino, Geschäfte zum duty-free-shoppen, vier oder fünf Bars, eine Diskothek, eine Art Theater, in dem jeden Abend eine andere Show aufgeführt wurde, eine Bibliothek mit überteuertem Internetzugang, mehrere Whirlpools, einen Beautysalon und einen riesigen Poolbereich mit Animation.

Echt Wahnsinn, was da für ein Aufwand betrieben wird. Mich hat das bis auf den Pool, vor allem als es langsam immer heißer wurde, wenig interessiert. Zum Glück kann man sich gut von diesem Programm abkapseln. Ich hatte ein paar gute Bücher dabei, war fest entschlossen mein Portugiesisch-Grammatikbuch durchzuarbeiten, außerdem den Reiseführer zu studieren und sonst einfach nur das weite Meer zu genießen. Außerdem konnte ich mich endlich mal wieder ausgiebig meiner Yoga- und Meditationspraxis widmen. Dort draußen auf dem Meer hat man so unglaublich viel Zeit für all die Sachen für die man sonst viel zu wenig Zeit findet. Meist habe ich versucht vor allen anderen aufzustehen, denn die stillen Morgenstunden auf dem Ozean sind einfach die Besten.

Jeden Tag wurde es ein bisschen wärmer, ab dem vierten Tag konnten wir den Pool nutzen. Davor war der Bereich erstens gesperrt und außerdem war es noch zu kalt zum Baden. Ab dem fünften Tag hätten die Temperaturen meiner Meinung nach so bleiben können wie sie sind. Doch da wir einen kontinuierlichen Kurs nach Süden nahmen war klar, dass es nun jeden Tag ein paar Grad wärmer würde. Dafür drehten sie die Air-Con im Inneren des Bootes auf, sodass niemand schwitzen musste, der das nicht wollte. Am Abend des achten Tages überquerten wie den Äquator. Ich hätte gedacht, dass wir spätestens dann vor Hitze zergehen würden. Das war aber gar nicht so. Es war schon recht warm, aber allein durch den Fahrtwind wehte stets eine angenehme Brise, sodass es nie unerträglich wurde. Auch die Uhren stellten wir Stück für Stück zurück. An jedem dritten Tag wurde uns eine Stunde geschenkt. Am Ende betrug der Zeitunterschied zwischen Lissabon und Recife drei Stunden. Ich hatte mit mehr gerechnet. Von der deutschen Zeit bin ich hier in Brasilien gerade mal vier Stunden entfernt.


pool area at night

Mit unserem "Privat"kellner Wayang beim Dinner


Unsere schnuckelige Kabine mit Meerblick

Super leckeres und viel zu viel Essen, hier beim Frühstücken

Wir hatten wirklich Glück, dass wir mit so wenig Menschen auf dem Schiff waren. So hatten wir ganz viel Platz und konnten immer einen ruhigen Ort finden. Außerdem wurde auch die Animation am Pool schnell eingestellt, weil sich nicht genug Interessenten fanden. Die Klientel war auf dieser Fahrt vermutlich ein bisschen anders als bei den üblichen Kreuzfahrten. Der Großteil waren brasilianische Familien, die vermutlich in Portugal leben und für eine Zeit nach Hause fahren. Außer uns gab es noch andere Rucksackreisende auf dem Schiff, die die Fahrt aufgrund der günstigen Preise gebucht hatten.  Das verbesserte für uns natürlich auch die Atmosphäre auf dem Schiff, weil wir Menschen mit ähnlichen Interessen und Plänen trafen.

Allerdings waren mehr als 600 (!) Crewmitglieder an Bord, bei gerade mal 200 Passagieren. Der Service war dementsprechend „unverbesserlich“, womit die Gesellschaft auch wirbt. In meinen Augen viel zu übertrieben. Unser Kellner beim Abendessen war gerade mal für zwei Tische verantwortlich. Und er war nicht allein. Es gab auch noch einen „Assistenz-Kellner“, der das Essen aus der Küche und die Getränke von der Bar holte. So konnte unser „Hauptkellner“ die ganze Zeit in unserer Nähe bleiben, uns beobachten und sofort herbeieilen, sobald er der Meinung war, wir könnten etwas gebrauchen. Waren unsere Gläser auch nur halbleer, wurde sofort nachgefüllt oder nach einem weiteren Getränkewunsch gefragt. Nach den ersten Tagen sah ich davon ab Wein zu trinken, da mein Glas ständig aufgefüllt wurde und ich am Ende aus dem Restaurant torkelte.

Ebenso der Reinigungsservice. Ich finde es schon viel zu viel, wenn mein Zimmer einmal am Tag sauber gemacht wird. Macht doch bei sich zu Hause auch niemand. Auf diesem Schiff rückten sie aber sowohl morgens und abends an, um unser Badezimmer in eine keimfreie Chemiezelle zu verwandeln. Das Bett wurde abends und morgens auf unterschiedliche Art hergerichtet. Außerdem wechselten sie gnadenlos alle  Handtücher, die auch nur annährend benutzt aussahen, auch wenn wir diese immer in der vorgeschriebenen Position aufhängten, die laut Anleitung signalisieren sollte, dass wir unsere Handtücher gern mehr als einmal benutzen würden. Aus den frischen Handtüchern formten sie dann Figuren, etwa Schwäne (!) oder Herzen, und drapierten sie auf unserem Bett. Wir versuchten den Reinigungsservice zu reduzieren, indem wir vormittags das „Bitte nicht stören“ Schild aufhängten. Dann kamen sie aber am Nachmittag, sobald wir das Schild entfernt hatten. Als würden sie unsere Kabine beobachten und sofort zum Putzen anrücken, sobald sich die Gelegenheit bietet. So hatten wir das Gefühl noch mehr Arbeit für das Reinigungspersonal geschaffen zu haben und ließen es von da an lieber sein.

Keine Ahnung warum sie so viel Personal mitnehmen. Wahrscheinlich brauchen sie sie für die folgenden Touren in Südamerika, die größtenteils ausgebucht sind, wie uns unser Kellner erzählte. Ich frage mich allerdings wie viel sie ihren Angestellten bezahlen. Auffällig war, dass die große Mehrheit der Angestellten aus Entwicklungsländern kommt. Um die 100 Menschen aus Indien, nochmal jeweils so viele aus Indonesien und den Philippinen, ca. 200 Menschen aus lateinamerikanischen Ländern, der Großteil aus Brasilien, 78 aus Bulgarien und noch ein paar Weitere aus anderen osteuropäischen Ländern. Lediglich neun kamen aus Spanien, fünf aus Griechenland, zwei aus Portugal, eine/r aus Italien, eine/r aus Kanada und eine/r aus Deutschland, laut Angaben von Pullmantur.




Am letzten Tag haben wir dann noch eine Rechnung über die „Service Taxes“ erhalten. Damit meinen sie das Trinkgeld. Es wurde von Anfang an gesagt, dass das Trinkgeld nicht im Preis enthalten ist. Allerdings wurde nie erwähnt, wie viel wir am Ende dafür bezahlen sollen. Ohnehin sollte das Geben von Trinkgeld und dessen Höhe ein freiwilliger Akt sein. Pullmantur bucht aber am Ende der Reise einfach 83 Euro pro Person von der Kreditkarte ab. Die Daten muss man zu Beginn der Reise angeben. Die Alternative ist 200€ pro Person in bar zu hinterlegen. Anscheinend ist das bei den meisten Gesellschaften so üblich, einfach einen von der Gesellschaft selbst festgelegten Betrag zu berechnen. Das ist sicherlich rechtlich nicht in Ordnung, wenn der Betrag bei Vertragsschluss nicht angegeben wird. Deshalb kann man dieser Praxis direkt an Bord widersprechen und diese „Servicegebühren“ umgehen oder zumindest den Betrag reduzieren. 

Da ich mich vorher darüber informiert hatte, wusste ich was auf uns zukommt. Ich war entschlossen zu widersprechen, sollten sie einen meiner Meinung nach zu hohen Betrag berechnen. Ich habe das am Ende nicht gemacht, weil der Preis meiner Meinung nach alles in allem trotzdem noch sehr günstig war, für das was wir bekommen haben. Auch wenn wir den Großteil des Angebots gar nicht genutzt haben, weil es für uns einfach nicht interessant war. Dafür hatten wir eine wunderschöne Kabine mit Blick aufs Meer, extrem leckeres (und viel zu viel) Essen und alle für uns interessanten Getränke inklusive. Außerdem hoffe ich einfach, dass das Trinkgeld wirklich an das Personal geht, die vielleicht darauf angewiesen sind ihr geringes Gehalt mit diesem Geld aufzubessern.

An Bord gibt es natürlich zahlreiche weitere Möglichkeiten sein Geld loszuwerden. Zum Beispiel im Casino, im Beauty-Salon oder in den Duty-Free-Shops sowie Wäscheservice, Roomservice, Internetzugang. Auch in den Bars und der Diskothek muss man auf dieser Tour für die Getränke bezahlen. Für uns war das allerdings weder interessant noch notwendig und wir haben nichts zusätzlich ausgegeben. Es gibt auch keinerlei Druck seitens des Personals.

Ankunft in Recife 


im Hafen von Recife 


Es war auf jeden Fall eine einzigartige Erfahrung den Ozean mit dem Schiff zu überqueren, die eigentliche Entfernung zwischen den Kontinenten zu spüren, die Uhren langsam zurückzustellen und zu fühlen wie die Temperaturen täglich höher kletterten. Ich weiß nicht, ob ich nochmal mit einem Kreuzfahrtschiff fahren würde. Vielleicht würden mich die günstigen Preise erneut verlocken. Denn es ist beispielsweise viel teurer in einem Containerschiff mitzufahren. Auch hier gibt es kommerzielle Anbieter, die Plätze auf diesen Schiffen verkaufen. Nur verlangen sie dafür oft um die 1000 Euro. Man ist allerdings auch länger unterwegs, meist um die vier Wochen. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, einfach in den Hafen zu gehen und sich durchzufragen, ob einen jemand mitnehmen kann. Das funktioniert bestimmt auch, wenn man geduldig und ausdauernd ist. Man weiß allerdings nie wie viel Wartezeit, und eben auch Ausgaben, man vor Ort einrechnen muss. Außerdem nehmen die großen Unternehmen prinzipiell niemanden mit. Man sollte es also bei Kleineren probieren. Auf jeden Fall muss man wahrscheinlich einen Beitrag für das Essen bezahlen, es sei denn man kann auf dem Schiff auf irgendeine Art mithelfen/arbeiten. Dasselbe gilt auch für die zahlreichen Segelschiffe, die von September bis Januar den Atlantik von Europa nach Amerika überqueren. Hier ist es noch wahrscheinlicher, dass man einen Tagesbeitrag für Essen und das Mitnehmen bezahlt, so dass man da auch locker auf ein paar hundert Euro kommt. Leider ist das langsame Reisen doch meist noch teurer und aufwendiger als einfach in ein Flugzeug zu steigen. Aber es lohnt sich zweifelsohne auf diese Art zu reisen.




Samstag, 30. November 2013

Lissabon: Ein Monat in der sonnigsten Hauptstadt Europas

Am Ende haben wir es mit dem langsamen Reisen doch sehr genau genommen und uns einen Monat lang fast überhaupt nicht fortbewegt. Und wir hätten es nicht besser machen können. Ich glaube, ein Monat ist die perfekte Zeitspanne, um die Seele einer Stadt kennen zu lernen, ihren Rhythmus zu erfahren, die Bewohner und ihren Alltag zu verstehen, authentische Gegenden aufzuspüren, die in keinem Stadtführer stehen, und die eigenen Lieblingsorte zu entdecken, die man dann immer wieder besucht. 

Blick über die Stadt von einem der zahllosen "miradouros", Foto: Jorge Rojas 



Fahrstuhl in der Innenstadt mit dem man den anstrengenden Aufstieg in den angesagten Bezirk "Bairro Alto" umgehen
kann; Foto: Jorge

Sonnenuntergang am Tejo-Fluss, Foto: Julia

Wir wurden immer wieder überrascht angeschaut, wenn wir erzählten, dass wir für einen Monat in Lissabon bleiben. "Ach so, und was macht ihr dann hier? Gibt es einen bestimmten Anlass so lange zu bleiben?", waren die typischen Fragen. Dabei lohnt sich ein längerer Aufenthalt in einer Stadt viel mehr, als mehrere Kurztrips pro Jahr zu unternehmen. Dann sieht man zwar scheinbar mehr von der Welt, besucht aber keinen dieser Orte wirklich. Außerdem ist es meist günstiger länger in einer Stadt zu bleiben. Zum Beispiel bei der Unterkunft kann man sparen. In einem Monat kann man leicht ein WG-Zimmer mieten. Zumindest in Lissabon gibt es ein riesiges Angebot, das zwar vor allem auf Erasmus-Studenten abzielt, aber mit ein bisschen Glück und findet man auch als Reisender ein Zimmer für einen Monat. Außerhalb des Zentrums beginnen die Preise bei 180 Euro für einen ganzen Monat. Im Zentrum kosten die Zimmer ein wenig mehr, etwa ab 250 Euro. 

Wir haben relativ leicht und unkompliziert ein Zimmer übers Internet auch ohne großartige Portugiesisch-Kenntnisse gefunden. Wir bezahlen 300 Euro pro Monat, weil wir zu zweit sind. Für eine Person hätte das Zimmer 250€ gekostet. Die Wohnung befindet sich in Graça, einem recht zentralen, wunderschönen, typischen Lissabonner Bezirk. Das gleiche Geld gibt man locker in einer Woche in einem mehr oder weniger guten Hotel aus. In dem Preis sind alle Nebenkosten enthalten und es gibt sogar eine Putzfrau, die einmal die Woche kommt, Bad und Küche putzt und sogar unser Bett frisch bezieht. Keine Ahnung, ob das portugiesischer Standard ist, aber ich bin auf jeden Fall sehr dankbar für diesen unerwarteten, praktischen Service. Die Wohnung hat drei Zimmer und die erste Woche waren wir ganz allein dort. In der zweiten Woche kam Marija aus Kroatien, die ein Praktikum in Lissabon macht. Seitdem leben wir immer noch sehr komfortabel in der Drei-Zimmer-Wohnung. Und vor allem sehr viel authentischer als in jedem Hotel in einem typischen Lissaboner Wohnviertel abseits der Touristengegenden. Noch besser wäre es natürlich mit Portugiesen zusammen zu leben, aber auch das kann man leicht finden, wenn man etwas Mühe und Geduld in die Suche investiert. 

Blick aus unser Wohnung, Foto: Jorge

Blick aus unserer Wohnung II, Foto: Jorge

Das Monatsticket für die öffentlichen Verkehrsmittel ist in Lissabon mit 35€ pro Monat überraschend günstig. Das gilt nicht für die Einzelfahrten bzw. Tagestickets, die entsprechen mit 1,80€ und 5,50€ eher dem westeuropäischen Standard. Wir haben uns aber sogar das Monatsticket gespart und sind stattdessen überall hin gelaufen. Dafür haben wir ungleich mehr von der Stadt gesehen. Wir sind unzählige der schmalen, verwinkelten Gassen entlang geschlendert, in denen die frisch gewaschene Wäsche an Leinen vom Himmel baumelt. Wir haben immer wieder neue, versteckte, niedliche Parks und gemütliche Cafés entdeckt und frische Blicke auf die Stadt und den mächtigen Tejo Fluss von den unzähligen "miradouros", den Aussichtspunkten, erlebt. Nach zwei Wochen schmerzten uns allerdings die Beine ein wenig, so dass wir uns von da an ab und zu eine Fahrt mit dem Bus oder den niedlichen kleinen Straßenbahnen, die die teilweise sehr steilen Hügel der Stadt problemlos erklimmen und sich elegant durch die engen Gassen schlängeln, gönnten. Wenn man dabei auch noch Geld sparen möchte, guckt man sich einfach die Tricks der Lissabonner ab. Die hängen sich zum Beispiel von außen an die Straßenbahn dran. Gut, das machen hauptsächlich männliche Jugendliche. Keine Ahnung, ob des Spaßes wegen oder um das Ticket zu sparen. In der Metro kann man sich einfach dicht hinter eine Person stellen und dann schnell mit durchlaufen, wenn diese ihr Ticket löst und sich die Schranken öffnen. Funktioniert. Ich habe schon einige Leute mit meinem Ticket „mitgenommen“.


Die Linie 28 fährt durch die wunderschönen und sehr unterschiedlichen Stadtteile Graça, Alfama, Baixa und Lapa und eignet sich wunderbar für eine günstige Sightseeing-Tour, Foto: Jorge



In Lissabon gibt es unzählige Aussichtspunkte. Das ist der "miradour" in unserem Bezirk Graça mit sehr nettem Café, Foto: Jore  

Zu Fuß in Lissabon unterwegs zu sein bedeutet auch, ständig jede Menge teilweise ziemlich steile Hügel auf und ab zu laufen. Und wir wohnen natürlich auch noch auf einem hohen Hügel. Die Aussicht auf den Tejo Fluss von unserer Wohnung aus ist super, aber ein bisschen Kondition braucht man hier schon. Oft genug wachen wir am Morgen mit Muskelkater in den Beinen auf. Andererseits ist das ein super Ausgleich zu den Unmengen an süßem Gebäck, dass hier an jeder Ecke feilgeboten wird. Portugal ist wirklich das Land der Desserts und Süßspeisen. Ich habe noch nie eine solche Dichte an Bäckereien erlebt, die ihre unglaublich Vielfalt an Torten und Leckereien auch noch unübersehbar im Schaufenster ausstellen müssen. 

In den ersten Tagen aßen wir beinahe täglich ein Pastel de Nata - das typischste und leckerste portugiesische Gebäck - ein kleines Blätterteigtörtchen gefüllt mit Pudding. Dafür sind wir bisher allein dreimal nach Belém gefahren, einen ziemlich abgelegen, aber sehr schönen Bezirk mit vielen Sehenswürdigkeiten im Westen Lissabons. Hier wurden die begehrten Törtchen schon im 18. Jahrhundert von den Mönchen und Nonnen des imposanten, ebenfalls sehr sehenswerten Hieronymus-Klosters hergestellt. In Belém gibt es immer noch eine traditionelle, äußerst beliebte Bäckerei, die Fábrica dos Pastéis de Nata, die die Törtchen seit 1837 nach altem, streng geheimem und gut behütetem Rezept herstellt. Leider ist diese Pastelaria sowohl bei Einheimischen als auch Touristen äußerst beliebt, sodass die Menschen gewöhnlich bis weit auf die Straße Schlange stehen. Drinnen findet man dann eine weitere Riesenschlange von Menschen, die auf einen Tisch warten. Es gibt einen extra Bereich für die Wartenden, obwohl das Lokal wirklich riesig ist und 404 Sitzplätze hat. Da das Lokal ziemlich verwinkelt ist und über mehrere Räume verfügt, kann man aber auch einfach ein wenig durch das Café laufen und hoffen, dass irgendwo gerade jemand aufsteht und sich dann schnell hinsetzen. Das ist zwar nicht gerade fair den Menschen gegenüber, die in der Schlange im Nebenzimmer warten, aber bei dem Geruch von Zimt und warmen Puddinggebäck in der Nase fällt es mir persönlich schwer, genug Geduld aufzubringen, um mich in der Schlange anzustellen. 

Süßes im Schaufenster, Foto: Jorge

Pasteis de Nata i n Belém, Foto: Jorge 

Die Pastelaria "Fábrica dos Pasteis de Belém" an einem überraschend ruhigem Freitag-Nachmittag, Foto: Julia


Mosteiro dos Jerónimos, das Hieronymus-Kloster in Belém, Foto: Julia

Ein weiterer Vorteil an einem einmonatigen Besuch ist, dass man genug Zeit hat ein wenig von der Sprache zu lernen. So konnten wir hier sogar einen Portugiesischkurs belegen. Es hat zwar bestimmt eine Woche gedauert etwas Passendes zu finden, aber das lag allein daran, dass wir nicht zu viel Geld ausgeben wollten. Wenn man da weniger knausert, geht es wahrscheinlich schneller. Wir haben letztendlichen einen passenden Kurs im Kulturzentrum inMouraria, einem der traditionellsten und zentralsten Lissabonner Bezirke, gefunden. Wir hatten zweimal die Woche je zwei Stunden Unterricht, was leider nicht besonders viel ist, wenn man die Sprache wirklich lernen will. Der Kurs geht über drei Monate und wir konnten zum Glück auch noch ein Monat nach Beginn des Kurses einsteigen. Das war für uns ok, da wir Spanisch sprechen und so schon relativ viel verstehen konnten. Eigentlich sollte der Kurs 35 Euro pro Monat kosten, aber als unsere Lehrerein hörte, dass wir keinen Job haben meinte sie ganz selbstverständlich: „Also wer keine Arbeit hat, braucht bei uns auch nichts zu bezahlen.“ Gute Einstellung, sollte öfter so gehandhabt werden!

Überhaupt gibt es in Lissabon, wie wahrscheinlich in den meisten größeren europäischen Städten, zahlreiche kostenlose Kulturangebote. Bei einem abendlichen Spaziergang durch die Stadt entdeckten wir zum Beispiel ein tolles zweiwöchiges kostenloses Filmfestival, bei dem wirklich gute Filme aus aller Welt gezeigt wurden. Die erste Woche hatten wir leider verpasst, aber die darauffolgende Woche waren wir dann jeden Abend im Kino. Auf Facebook gibt es eine sehr praktische Seite, die regelmäßig über kostenlose, kulturelle Events in Lissabon informiert und außerdem auch eine Monatsübersicht über alle kostenlosen Veranstaltungen erstellt. Das Angebot ist so groß, dass man locker einen ganzen Monat damit verbringen kann, kostenlose Ausstellungen, Filme, Galerien, Museen, Konzerte etc. zu besuchen. Einfach Fan der Seite Cultura Grátis em Lisboa werden und sich informieren lassen.

Seit fünf Jahren gibt es im November außerdem das Festival imigrARTE, ein kostenloses Event, das von Immigranten und entsprechenden Vereinen organisiert wird. Am dritten Novemberwochenende gab es zahlreiche kostenlose Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen an einem zentralen Veranstaltungsort in Lissabon. Außerdem bereiten die Immigranten-Communities traditionelle Gerichte aus ihren Herkunftsländern zu und verkaufen sie für wenig Geld auf dem Festival. Portugal soll das Land in Europa sein, das seine Immigranten am besten in die Gesellschaft integriert. Zumindest habe ich das im spanischen Radio gehört, kurz bevor wir nach Portugal fuhren. Nach meinem einmonatigen Aufenthalt hat sich dieser Eindruck auf jeden Fall bestätigt. Lissabon ist wie die meisten westeuropäischen Großstädte ein bunter Mix der unterschiedlichsten Kulturen. Es gibt vor allem viele Menschen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien wie Mozambique, Angola  und Brasilien, aber auch zahlreiche Osteuropäer und Asiaten, die sich hier dauerhaft niedergelassen haben. Diese leben aber nicht alle zusammen in einem Bezirk und bilden eine Art Parallelgesellschaft, wie das zum Beispiel in Berlin und anderen europäischen Großstädten der Fall ist, sondern scheinen wirklich mit der einheimischen Gesellschaft zusammen zu leben.

Unsere Zeit in Lissabon neigt sich nun dem Ende zu. Morgen fahren wir mit dem Schiff nach Recife, Brasilien, und freuen uns schon sehr auf die tropischen Temperaturen. Auch in der sonnigsten Hauptstadt Europas wurde es ab Mitte November ein wenig kühl. Es schien zwar während des gesamten Monats die Sonne, was unglaublich schön und unerwartet war. Ich hatte im November schon mit ein paar verregneten, grauen Tagen gerechnet, aber das gab es hier absolut nicht. Nur zu Beginn hat es einmal geregnet, aber das war so ein feiner Nieselregen, dass man ihn kaum wahrgenommen hat.

Sunny Lisboa im November, Foto: Jorge


Das Problem sind eher die schwachen oder in den meisten Fällen nicht vorhandenen Heizungen. Das wird bei um die 7 Grad nachts und ca. 12-13 Grad tagsüber, die wir momentan haben, doch manchmal etwas ungemütlich. Und es ist erst November. Keine Ahnung wie es im Winter ist. In Lissabon ist es gang und gäbe, dass die Wohnungen keine Heizung haben. Wir haben sogar das große Glück eine in unserem Zimmer zu haben, aber die ist so mickrig und schwach, dass sie kaum einen spürbaren Effekt erzielt. An allen Ecken in Lissabon werden deshalb diese kleinen elektrischen Heizkörper verkauft, vielleicht helfen die ja ein wenig. Aber so richtig gemütlich stelle ich es mir im Winter trotzdem nicht vor. Auch die Cafés, Restaurants und Bars sind meist nicht geheizt, so dass man an kühlen Abenden auch dort nicht hineinflüchten kann. So richtig ist mir das aber erst aufgefallen als wir Mitte November einen Trip nach Coimbra machten, eine sehr schöne kleine Studentenstadt ca. 200km nördlich von Lissabon. Da war es nochmal um einiges kälter, so um die 5-6 Grad am Abend. Da waren die unbeheizten Bars und Cafés wirklich ärgerlich. Umso schöner war es dann nach Lissabon zurückzukehren. Hier ist doch spürbar wärmer als im Norden des Landes.

Der Winter stelle ich mir trotzdem etwas ungemütlich vor. Die beste Zeit, um Lissabon zu besuchen ist daher wahrscheinlich entweder im Frühjahr von März bis Mai oder September bis Oktober. Der Vorteil im November war allerdings, dass auch deutlich weniger Touristen unterwegs waren.

Ausflug nach Coimbra, eine der ältesten Studentenstädte Europas, Foto: Jorge

Coimbra vom anderen Ufer des Mondego, Foto: Jorge


Im botanischen Garten in Coimbra, Foto: Jorge

Park in Coimbra, Foto: Jorge


Morgen beginnt also der nächste Teil unserer Reise. Wir werden mit einem Kreuzfahrtschiff nach Brasilien fahren. Eigentlich ist das überhaupt nicht meine Art zu reisen, da ich sonst eher mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs bin, gerne trampe und bei Couchsurfern übernachte. Aber man muss auch mal was Neues ausprobieren und im schlimmsten Fall weiß man danach, warum man diese Art des Reisens kritisiert. Ursprünglich wollten wir mit dem Segelboot den Ozean überqueren, aber sind dann doch aufgrund mangelnder Segelerfahrungen und anderer Überlegungen davon abgekommen. Für die Zukunft kann ich mir das aber auf jeden Fall nochmal vorstellen. Aber vielleicht ist es gut, den Ozean erstmal in etwas komfortablerer Weise zu überqueren, um herauszufinden, ob das überhaupt etwas für einen ist.

Für die Atlantiküberquerung gibt es unglaublich günstige Angebote der Kreuzfahrtgesellschaften. Das liegt wahrscheinlich daran, dass nicht besonders viele Menschen daran interessiert sind mit dem Schiff  nach Amerika zu fahren. Man ist eben neun Tage nur auf dem Ozean unterwegs, hält nirgendwo an, macht keine Ausflüge und sieht nur das Meer. Fliegen ist eben viel schneller. Die Schifffahrtsgesellschaften müssen aber ihre Boote über den Ozean bringen, denn in Europa ist die Saison zu Ende und im europäischen Winter werden Touren in der Karibik angeboten. Hier in Lissabon haben wir in den Reisebüros gesehen, dass die Gesellschaft mit der wir fahren ordentlich Werbung für die Reise nach Recife macht. Mittlerweile sind sie nochmal um 100€ mit dem Preis runtergegangen. Es lohnt sich also mit der Buchung bis zum letzten Moment zu warten. Dann wird es sogar billiger als Fliegen und man bekommt außerdem eine 9-tägige Schifffahrt mit Unterkunft, Vollverpflegung, Unterhaltungsprogramm und den ganzen Annehmlichkeiten, die eine Kreuzfahrt so bietet. Was allerdings noch so an zusätzlichen Kosten an Bord auf uns zukommt, wissen wir noch nicht.





Dienstag, 10. September 2013

Road trip von Berlin nach Madrid

Am Mittwoch ging es dann also endlich los. Wir starteten vom Rasthof Grunewald, der sehr gut von der S-Bahnstation Nikolassee zu erreichen ist. Das war immer die Haltestelle, an der ich aussteigen musste, um an den Wannsee zu meinem Segelkurs zu laufen. So schloss sich der Kreis also wieder. Außerdem befindet sich die Raststätte an der Spanischen Allee. Da wusste ich, dass wir hier Glück haben würden.

Erstmal sah es wenig vielversprechend aus, da kaum Autos unterwegs waren und es außerdem noch andere Tramper gab, die die Leute an der Tankstelle direkt ansprachen. Wir stellten uns an die Ausfahrt, Jorge malte in Schönschrift Köln auf ein Stück Pappkarton und ich streckte jedem vorbeifahrendem Wagen den Daumen entgegen. Neben uns warteten ein jüngerer Typ und seine Mutter auf die Mitfahrgelegenheit nach Bielefeld für den Jungen, die sie zuvor über das Internet organisiert hatten. Sie guckten uns ein wenig mitleidig an als wir erzählten, wir wollten per Anhalter nach Köln fahren. Bei den Zehlendorfern würden wir sicher wenig Erfolg haben, meinte die Mutter. Wir könnten froh sein, wenn sie uns nicht mit Eiern bewerfen, bemerkte der Junge. Wir wandten uns etwas genervt ab. Trotzdem waren auch wir aufgrund der wenigen Fahrzeuge etwas skeptisch und dachten schon über Alternativen nach.



Aber nach gar nicht allzu langer Zeit stoppt plötzlich ein kleiner weißer Transporter. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und meint fast entschuldigend bis Köln könne er uns nicht mitnehmen, aber er fahre nach Hannover und könne uns dort absetzen. Das war für uns natürlich ein totaler Glückstreffer, gleich vom ersten Fahrer fast 300km, die Hälfte der geplanten Tagesstrecke, mitgenommen zu werden. Der Junge und seine Mutter, die immer noch auf die Mitfahrgelegenheit für den Jungen warteten, verfolgten mit großen Augen, wie wir unsere Rucksäcke in den leeren Transportraum schmissen und uns auf die zwei Beifahrersitze neben unseren Fahrer schwangen. Vorher fragten sie noch, ob er uns bis nach Köln fahre. Jorge, der die Frage glaube ich nicht richtig verstanden hatte, rief vor dem Einsteigen nach „Ja!“ und schon fuhren wir der Autobahnauffahrt entgegen.

Schon in der S-Bahn auf dem Weg nach Nikolassee fragte ich mich, wer wohl unser erster Fahrer sein würde. In einem Blog von drei Jungs, die ebenfalls nach Südamerika getrampt sind, habe ich nämlich gelesen, dass ihr erster Fahrer von einer Insel im Atlantik war, auf der sie später mit dem Segelboot auch wirklich gehalten haben. Im Rückblick setzen sich oft Puzzleteile zusammen, die vorher völlig zufällig und unzusammenhängend erscheinen.
Unser erster Fahrer war dann auch tatsächlich kein Deutscher. 

Woher kam er also?

Aus Russland. Sibirien. Novosibirsk…

Ich fand das lustig, weil ich eben gerade noch in der S-Bahn über die Geschichte von den drei Jungs nachdachte. Wer weiß wohin uns diese Reise bringen wird. Eine gewisse Russlandaffinität meinerseits kann ich sicherlich nicht abstreiten. Und Jorge findet eh alles toll, was irgendwie mit Kommunismus zu tun hat. Aber jetzt geht es ganz sicher erstmal nach Kolumbien und hoffentlich noch in ein paar andere südamerikanische Länder. Vielleicht Kuba.

Im Auto bat ich unserer sympathischen Fahrer auch gleich doch bitte wieder den russischen Radiosender einzuschalten, den er hektisch abgestellt hatte als wir einstiegen. Und so dudelte uns der vertraute russische Singsang entgegen, den Jorge aus seiner Zeit in Usbekistan kennt und mich ebenfalls an meine Reise nach Belarus, Russland und Usbekistan im letzten Jahr erinnerte. 

Unser Fahrer, der einen typisch russischen Namen hatte und den ich hier einfach Andrej nennen werde, erzählte uns dann auch einiges aus seinem Leben. Nach dem Ende der Sowjetunion kam er gemeinsam mit seiner Frau, einer Russlanddeutschen, nach Berlin. Er erzählte uns mit welchen Jobs er sich seit dem in Deutschland über Wasser gehalten hat. Viele Jahre lang arbeitete er als Lkw-Fahrer, obwohl er diesen Job nicht mochte. Er konnte viel zu wenig Zeit mit seiner Familie verbringen und die Arbeit war schlecht bezahlt. Außerdem wurde er von seinen Vorgesetzten oft dazu gedrängt, die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einzuhalten. Wurde er dann dabei erwischt, musste er die Strafe selbst bezahlen. Er erzählte uns, dass er viele Jahre als Fahrer für eine Bäckerei arbeitete, von ein Uhr nachts bis neun Uhr morgens. Aber er war froh, nicht mehr am Wochenende arbeiten zu müssen. Als er sich dann eine Wohnung in Hohenschönhausen kaufen wollte, die für 38.000€ zum Verkauf angeboten wurde, wollte ihm die Bank aufgrund seines geringen Gehalts keinen Kredit geben. Zwei Euro mehr müsse er pro Stunde verdienen, sagten sie ihm. Andrej bat bei seinem Arbeitgeber um eine Gehaltserhöhung, die sie ihm nicht geben wollten. So wurde aus der eigenen Wohnung nichts, denn nochmal würde so ein günstiges Angebot nicht kommen, davon ist zumindest Andrej überzeugt. Und mehr als 38.000 Euro könne er sich definitiv nicht leisten. Heute arbeitet er wieder als Fahrer, für eine ukrainische Firma, die Wodka in Deutschland vertreibt. Es tat mir echt leid, dass sich so ein sympathischer, hilfsbereiter und gegenüber 'Fremden' so aufgeschlossener Mensch mit solchen merkwürdigen, schlecht bezahlten Jobs durchschlagen muss. Aber irgendwie schien er auch nicht viel mehr vom Leben zu erwarten.


Nach einer bewegten Fahrt ließ uns Andrej dann an einer Raststätte kurz vor Hannover heraus. Da machten wir erstmal eine ausgiebige Mittagspause und aßen unsere mitgebrachten Brote an einem der Picknicktische. Danach stellten wir uns wieder an die Ausfahrt. Ich habe keine Ahnung mehr wie lange wir warteten, aber im Nachhinein erscheint es mir sehr kurz. Kaum standen wir dort fuhr auch schon ein roter Audi A2 langsam auf uns zu, erst wurde er immer langsamer, dann auf einmal wieder schneller, fuhr an uns vorbei, stoppte, fuhr wieder langsam an. Wir wussten nicht so wirklich, was das bedeuten sollte. Aber ich beschloss hinterher zu laufen. Hinter dem Steuer saß ein etwas verwirrter Mittvierziger mit Hipster-Brille und quietsch-grünem T-Shirt und teilte mir mit, er könne sich nicht entscheiden, ob er uns mitnehmen wolle oder nicht. Das war schon so bezeichnend für diesen Schweizer Künstler, der unser zweiter und letzter Fahrer an diesem Tag werden sollte. Er wüsste nicht, ob es genug Platz für unser Gepäck gäbe. Wir könnten es ja einfach mal probieren, wand ich ein. Gesagt, getan, es passte alles ganz gut rein. Kaum saßen wir dann im Wagen, teilte er uns mit, er würde zwar nach Köln fahren, aber er wisse noch nicht, ob er uns wirklich die gesamte Strecke mitnehmen könne. Manchmal brauche er Zeit zum Reflektieren und das könne er beim Autofahren so gut, aber nur wenn er allein ist. Ich beschwichtigte, er könnte uns jederzeit unterwegs an einer Raststätte absetzen, das sei gar kein Problem, wir wären froh über jedes Stück das wir uns fortbewegen. Wie schon erwähnt hatten wir Glück und er hat uns unterwegs nicht mehr rausgeschmissen.


So waren wir also schon am frühen Nachmittag in Köln und beide ganz enthusiastisch, da wir morgens noch keine Ahnung hatten, wo wir eigentlich landen würden. In Köln angekommen liefen wir zuerst zum Dom, bewunderten das imposante Bauwerk von einem schattigen Plätzchen aus und verdrückten unseren restlichen Proviant. Bereits im Auto hatte Jorge zwei Freunde von ihm kontaktiert, die in Köln wohnen. Leider konnte er einen nicht erreichen, aber die andere, Friederike, hatte zum Glück Zeit für uns und wir konnten sogar bei ihr übernachten. Auf einmal hatten wir also auch noch eine Unterkunft in Köln. Wir verbrachten den Rest des Nachmittags am Rheinufer, wo wir abends auch Friederike trafen. Später kochten wir gemeinsam in Friederikes Wohnung und gingen früh schlafen, da wir ziemlich geschafft waren von diesem faszinierenden ersten Tag. Ich glaube es ist ein gutes Zeichen für unsere Reise, dass wir so einen guten Start hatten.






Am nächsten Tag ging es sehr viel langsamer voran. Wir brauchten eine Weile, um zu der Tankstelle zu gelangen, von der aus wir starteten. Im Internet kann man sich für jede größere Stadt geeignete Abfahrtsorte für das trampen raussuchen. Auf der Webseite Hitchwiki zum Beispiel findet man Informationen über günstige Startpunkte und wie diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. zu Fuß zu erreichen sind.

Die Tankstelle zu der wir fuhren, befand sich kurz vor der Autobahnauffahrt. Eigentlich keine schlechter Standpunkt, nur hielten dort sehr wenige Autos. Und an die Straße konnten wir uns nicht stellen, da die Autos dort keine Haltemöglichkeit hatten. Gleich am Anfang hielten zwar drei Autos, aber niemand fuhr in unsere Richtung. Wieder gab es zwei andere Tramper, die an der Tankstelle die Leute direkt ansprachen. Auch sie hatten keinen Erfolg. Es vergingen bestimmt 1,5 Stunden bis die anderen beiden eine Mitfahrgelegenheit fanden. Da fassten wir auch wieder Mut. Ich probierte es dann auch damit, die Leute direkt anzusprechen. Alle waren sehr freundlich und aufgeschlossen mir gegenüber, nur fuhr tatsächlich niemand in unsere Richtung. Nach eine Weile stellte ich mich wieder zu Jorge, der mit seinem Aachen-Schild immer noch an der Ausfahrt stand und es vergingen keine zwei Minuten, da hielt plötzlich ein junger Mann in Bundeswehruniform.

Phillip war vor kurzem selbst in Malaysia per Anhalter unterwegs und freute sich nun sichtlich, selbst Leute mitnehmen zu können. Oft wurden wir von Menschen mitgenommen, die selbst schon per Anhalter gefahren sind. Als ich neben Phillip saß, erinnerte ich mich daran, wie ich in diesem Blog schrieb, dass man durchs Trampen oft mit Leuten in Kontakt kommt, die man sonst nicht kennenlernen würde. Nun saß ich also neben einem Bundeswehrsoldaten. Und irgendwann erzählt er uns tatsächlich aus seiner Zeit in Afghanistan und wie einmal unter einem Auto, das direkt vor ihm fuhr, eine Bombe explodierte. Der Wagen war gepanzert, so dass die Insassen mit einer Gehirnerschütterung und wahrscheinlich einem ordentlichen Schock davon kamen. Er erzählte uns, welchem enormen Stress die Soldaten in Afghanistan ausgesetzt sind und dass er selbst Glück gehabt habe, nur vier Monate dort zu sein. Außerdem teilte er uns noch mit, wie sehr ihm die Antikriegshaltung vieler Deutscher zu schaffen mache. Diese „aggressiven Pazifisten“, wie Phillip sie nennt, gäben ihm ständig zu verstehen, er sei ein schlechter Mensch. Er habe kaum noch Freunde außerhalb der Bundeswehr, da sich viele aufgrund seines Berufes abgewandt hätten. „Wenn man nach vier Monaten äußerster Belastung und Ausnahmezustand aus Afghanistan zurückkehrt und am Flughafen als erstes die ‚Soldaten sind Mörder‘ Schilder sieht, dann kann einen das richtig fertig machen“, erzählte uns Phillip. Das führe dann dazu, dass sich die Soldaten immer mehr in ihren eigenen Kreis zurückzögen und mit dem Außen kaum noch etwas zu tun haben wollen. Auch wenn ich sicherlich nicht mit allem einverstanden war, was Phillip uns etwas erregt während unserer einstündigen Fahrt erzählte, war es interessant sich seine Perspektive anzuhören.

Phillip war dann sogar so nett, uns noch ein Stück weiter direkt bis an die belgische Grenze zu fahren. Dort machten wir wieder unsere ausgiebige Mittagspause und liefen dann rüber nach Belgien. Wir stellten uns selbstbewusst mit einem Paris-Schild an die Ausfahrt. Aber es waren wieder mal sehr wenig Autos unterwegs und außerdem war es an diesem Tag richtig heiß, so dass uns auch die Sonne zu schaffen machte. Bald änderten wir unser Schild in Mons, eine kleine belgische Stadt kurz vor der französischen Grenze. Damit hätten wir vielleicht mehr Erfolg, dachten wir. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam dann ein riesiger Lkw neben uns zum Halten. Wir kapierten erst nicht, dass dieses Riesenfahrzeug tatsächlich stoppt, da sonst nie Lkws halten. Anscheinend wird es den Fahrern von ihren Firmen verboten, Anhalter mitzunehmen. Na ja man muss ja nicht immer auf alles hören, was der Chef sagt.

Der freundliche Mensch, der nun neben uns hielt, winkte uns zu sich hoch. Unsere Rucksäcke durften wir auf sein Bett, das sich direkt hinter dem Fahrer- und Beifahrersitz befand, schmeißen. Ich setzte mich aufs Bett und Jorge auf den einzigen Beifahrersitz. Und dann glitten wir mit den gleichmäßigen 80km/h über die belgische Autobahn. Ich fand dieses Tempo richtig angenehm, da man die Umgebung viel besser wahrnehmen kann, wenn nicht alles so an einem vorbei rast.

Unser Fahrer hieß Göksel, war Türke und auf dem Weg nach England. Er fuhr über Brüssel und hätte uns auf unserer eigentlichen Strecke, die auf dem direkten Weg nach Paris führte, nur ein kleines Stück mitnehmen können. Da wir uns beide so wohl in Göksels Fahrzeug fühlten hatten wir aber wenig Lust gleich wieder auszusteigen. Also beschlossen wir kurzerhand nach Brüssel zu fahren und dort die Nacht zu verbringen. Göksel sprach ein wenig Englisch und so erzählte er uns, dass er mit seinem Lkw zwischen Italien und Großbritannien hin und her fahre. Er bot uns auch gleich eine Mitfahrgelegenheit für den Rückweg an. Als wir dankend ablehnen mussten, schien Göksel etwas enttäuscht. Ich glaube, er hat sich wirklich über unsere Gesellschaft gefreut. Er lud uns dann noch auf eine Fahrt nach Schottland ein, da er meinte das sei das schönste Land auf seiner Strecke und wir müssten unbedingt mal dorthin fahren. Wir haben dann Telefonnummern ausgetauscht. Wer weiß, vielleicht fahren wir irgendwann nochmal mit Göksel nach Schottland.


Ein weiterer Grund, warum wir beschlossen nach Brüssel zu fahren war, dass Jorge auch dort eine Bekannte hat. Schon aus dem Auto heraus kontaktierte er Florence und verabredete einen Treffpunkt für den Abend. Als sie am Telefon hörte, dass wir noch keine Unterkunft haben, lud sie uns auch direkt zu sich nach Hause ein. So hatten wir wieder spontan eine Unterkunft für die Nacht gefunden. In Brüssel angekommen schlossen wir unsere Rucksäcke in die Schließfächer am Bahnhof ein, liefen ein wenig durch die Stadt und picknickten im Park. Am Abend trafen wir Florence. Wir verbrachten den Abend bei ihr zuhause mit ihrem Mann und dem 17-monatigen Baby.


Am nächsten Tag brachen wir relativ spät auf, da Florence frei hatte und wir ausgiebig auf dem Balkon frühstückten. Zum Glück fuhr uns Florence dann aber zur ersten Tankstelle auf der Autobahn Richtung Paris. So standen wir um 11 Uhr dort und mussten keine 10 Minuten warten bis das erste Auto stoppte. Ein ganz lieber Pakistaner, der seit 15 Jahren in Brüssel lebt und auf dem Weg nach Mons, kurz vor der französischen Grenze, war wurde unser erster Fahrer an diesem Tag. Er hatte den Laderaum voller Klamotten, die er auf einen Markt in Mons zum Verkauf anbieten wollte. Wir konnten unsere Rucksäcke gerade noch mit reinquetschen und schon ging es los.

An der Raststätte kurz vor Mons, an der uns unser pakistanischer Fahrer raus ließ, sahen wir gleich einen deutschen Reisebus. Wir erfuhren, dass sie auf dem Weg nach Paris waren, aber leider wollten sie und nicht mitnehmen. Also stellten wir uns wieder an die Ausfahrt und warteten. Ich glaube es vergingen wieder weniger als 10 Minuten bis ein schwarzer Alfa Romeo Coupé hielt, in dem zwei Jungs saßen, die nicht viel älter als 20 waren. Sie fahren nach Paris und würden uns gern mitnehmen. Juhuuuuuuu! Das war mal wieder ein Glückstreffer oder wie man in Australien sagen würde: „Too easy!“ Der dritte Tag machte dem ersten Tag in seiner Leichtigkeit Konkurrenz. Im Auto beschlossen wir auch ziemlich schnell in Paris zu bleiben, da – Überraschung – Jorge auch in Paris zwei Mädels kennt, die er gern treffen wollte, „para saludarlas“, um mal Hallo zu sagen, wie Jorge das dann ausdrückt. Das konnte ich ihm nicht ausschlagen, obwohl ich an dem Tag gern noch weiter gekommen wäre als bis Paris. Und anderseits hatten wir auf diese Weise auch für die dritte Nacht eine Übernachtungsmöglichkeit.



Unsere beiden belgisch-flämischen Fahrer sprachen perfekt Englisch und erzählten uns einiges über den Nonsens der belgischen Politik und den Konflikt zwischen der flämischen und walisischen Bevölkerung dieses kleinen Landes erfahren. Alles lief super bis wir uns der riesigen Agglomeration Paris nährten. Hier gerieten wir in einen schier endlosen Stau, der sich wie Kaugummi hinzog. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber wir standen bestimmt zwei Stunden kurz vor Paris. Das war natürlich ärgerlich für uns, da uns zwei Stunden unseres Pariser Nachmittags verloren gingen. Aber auf solche Dinge hat man eben keinen Einfluss.

Endlich in Paris angekommen, suchten wir zuerst ein kleines Café mit Wifi auf, aßen eine Kleinigkeit und kontaktierten Jorges Freundinnen über Skype. Leider waren die beiden schon völlig verplant, schließlich war es auch ein Freitag. Aber glücklicherweise konnten wir uns noch mit Julie treffen und bei ihr auch übernachten. Sie hatte an diesem Abend zwar nur kurz Zeit für uns, da sie noch auf eine Party ging und erst am nächsten Morgen wieder kam. Dafür verabredeten wir uns für den nächsten Tag zum Brunch, zu dem auch Jorges andere Pariser Bekannte, Carine, kam. So war klar, dass wir nicht vor dem frühen Nachmittag aus Paris rauskommen würden, aber da Jorge ja auch gekommen war, um seine Freunde zu treffen, wollten wir den Brunch nicht absagen. Als ich dann nach dem Brunch die möglichen Abfahrtorte auf Hitchwiki checkte, war klar, dass es ziemlich schwierig werden würde aus Paris rauszukommen. Wir hätten mit der Regionalbahn fahren und dann meist noch ein paar Kilometer laufen müssen. Das ist an sich kein Problem, aber wir hätten bestimmt zwei Stunden gebraucht, um überhaupt dorthin zu kommen. Eigentlich wollten wir an diesem Tag noch bis Bordeaux kommen, das wäre auf diese Weise kaum möglich gewesen. Und das Trampen macht wirklich keinen Spaß, wenn man unter Zeitdruck steht. Und den habe ich aufgrund des Meditations-Retreats, das ich wirklich gern besuchen möchte, leider. So ist mir im ersten Abschnitt unserer Reise das langsame Reisen noch nicht wirklich gelungen. Aber ich mochte die Spontanität der ersten Tage, einfach nach Köln, Brüssel und Paris zu fahren, obwohl das gar nicht geplant war, das war schon toll. Ich hoffe nur, wir haben unsere Gastgeberinnen nicht zu sehr überrumpelt.

Auf jeden Fall wäre es aber schöner gewesen, mehr Zeit an den jeweiligen Orten zu verbringen. Es war mein erstes Mal in Brüssel und ich hätte gern ein bisschen mehr von der Stadt gesehen. Auch in Paris hätte ich gern mehr Zeit verbracht. Und von Paris nach Bordeaux sind wir letztendlich mit der Mitfahrgelegenheit gefahren. Lieber wäre ich getrampt. Aber so war sicher, dass wir es noch am selben Tag nach Bordeaux schaffen. Und wir hatten noch ein paar Stunden vor der Abfahrt um 17.30, um Paris zu erkunden. Die Standard-Sehenswürdigkeiten haben wir zwar nicht besichtigt, aber wir sind dafür ein bisschen durch den Bezirk im Norden Paris‘, in dem wir übernachtet haben, geschlendert. Dabei entdeckten wir den tollen Park Belleville mit einem Wahnsinnsblick über Paris.




Um 17.30 Uhr ging es dann also mit der Mitfahrgelegenheit, die wir bzw. unsere Gastgeber über das Internet organisiert haben, auf nach Bordeaux wo wir 22.30 Uhr ankamen. Die Leute setzten uns freundlicherweise am Campingplatz ab, der sonst schwer für uns zu erreichen gewesen wäre. Viel mehr ist über die Personen, mit denen wir gefahren sind aber auch nicht zu erzählen. Wir haben uns kaum mit ihnen unterhalten. Sie zeigten wenig Interesse uns gegenüber. Und auch ich muss gestehen, dass ich ganz froh war meinen Computer ohne schlechtes Gewissen rausholen zu können und die Zeit zu nutzen, um diesen Blogeintrag zu schreiben. Sicher war ich in diesem Moment froh über diese Möglichkeit, aber trotzdem merkte ich daran sehr deutlich, wie Geld unsere Beziehungen zueinander verändert. Dadurch, dass wir für die Fahrt bezahlt hatten, waren wir für den Fahrer einfach ein Mittel zum Zweck. Er konnte seine Benzinkosten reduzieren oder, bei dem Preis den wir dafür zahlten, vielleicht sogar ganz abdecken. Er tat uns dafür den Gefallen, uns bis nach Bordeaux mitzunehmen. Damit war die Sache erledigt. Darüber hinaus musste sich niemand die Mühe machen, sich mit dem anderen zu beschäftigen, sich auf ihn einzulassen und kennenlernen zu wollen. Beim Trampen trifft man sich auf einer ganz anderen, viel menschlicheren Ebene. Das wäre mit diesen Leuten vielleicht auch möglich gewesen, aber wie gesagt war ich ja auch froh, die Zeit produktiv zu nutzen und mir mal keine Mühe geben zu müssen, die anderen kennenzulernen. Das habe ich mir aber nur ‚erlaubt‘, weil wir für die Fahrt bezahlt haben.

Am nächsten Tag entschieden wir spontan, mal nicht gleich weiter zu fahren, sondern den ganzen Tag in Bordeaux zu verbringen und erst am Montag aufzubrechen. Die Zeit war ohnehin knapp und ich vertraute einfach darauf, dass ich es irgendwie bis Dienstag nach Madrid schaffen würde, wenn nötig mit dem Bus. Das war auf jeden Fall eine gute Entscheidung, auch wenn wir die erste Hälfte des Tages auf dem Campingplatz vertrödelten, da wir auch noch unsere Wäsche waschen wollten. Der Nachmittag in Bordeaux hat sich aber auf jeden Fall gelohnt. Wir haben die schöne Altstadt besichtigt, eine tolle kostenlose Kunstausstellung entdeckt und den unterschiedlichsten Musikern entlang des Flussufers gelauscht. Da waren wirklich talentierte Menschen dabei. Außerdem gab es ein kleines Salsa-Event am Flussufer. Es war also sehr viel los, wir hatten wohl Glück an einem Sonntag dort zu sein.  




Am nächsten Tag sind wir dann blitzschnell ins Baskenland gekommen. Mit nur zwei Fahrern und jedes Mal weniger als 10 Minuten Wartezeit haben wir es bis zum Mittag ins 240 km entfernte Bayonne, kurz vor Biarritz, geschafft. Das ist eine hübsche kleine Stadt im Baskenland. Wir ließen uns bestimmt zwei Stunden Zeit, um die Stadt zu besichtigen und Mittag zu essen. Danach stellten wir uns an die Straße, die nach Biarritz und San Sebastian führte. Obwohl wir einen wirklich guten Platz gefunden hatten, an dem die Autos sehr gut halten konnten und außerdem sehr viel Verkehr war, dauerte es eine Weile bis die erste Fahrerin hielt. Daran merkten wir schon, dass die Fahrt per Anhalter nun schwerfälliger sein würde. Wir näherten uns der spanischen Grenze. Die Frau konnte uns leider nur ein kleines Stück mitnehmen. An der nächsten Stelle war es dann dasselbe: Super Spot, viel Verkehr, aber es dauerte eine Weile bis jemand hielt. Wieder fuhr er aber nur ein paar Dörfer weiter und so kleckerten wir über die baskischen Dörfer. Auf diese Weise haben wir aber sehr viel vom französischen Baskenland gesehen. Für mich war es das erste Mal in dieser wunderschönen, pittoresken Region. Die Straßen schlängeln sich durch die traumhaft grüne, bergige Landschaft und bieten teilweise atemberaubende Ausblicke auf das in der Sonne silber-blau funkelnde Meer. So bin ich echt dankbar für das langsame Vorankommen an diesem Tag, das einen unvergesslichen Eindruck von dieser Region bei uns hinterließ. Unser zweiter Fahrer ließ uns auch direkt am Strand in einem kleinen Ort raus und so ließen wir es uns nicht nehmen, noch ein Stündchen am Strand zu verbringen und unsere Füße im kühlen Atlantik zu erfrischen.



Unser nächster Fahrer fuhr uns dann über die Grenze und so erreichten wir endlich Spanien. Da es schon ziemlich spät war, beschlossen wir den Zug nach San Sebastian zu nehmen. Dort kauften wir ein Ticket für den Nachtbus nach Madrid, da wir es anders nicht mehr schaffen würden und nachts auch nicht trampen wollten. Dafür hatten wir nun noch einen ganzen Abend in San Sebastian bevor unser Bus um 00.30 Uhr abfahren würde. Wir setzten uns in ein Café, Jorge machte sich – von der Last des Rucksacks befreit – auf, die Stadt zu erkunden und ich, die ich vor vier Jahren schonmal dort war, blieb im Café, um weiter an diesem Blogeintrag zu schreiben. Anschließend aßen wir dann noch in einem Restaurant. Da es im Baskenland das beste Essen in ganz Spanien gibt, wollten wir uns diese Chance nicht nehmen lassen. Bevor der Bus abfuhr schlenderten wir noch gemeinsam ein wenig durch die wunderbare laue Sommernacht. Am nächsten Morgen um 07.30 Uhr kamen wir dann sogar ziemlich ausgeschlafen in Madrid an, da wir beide fast die ganze Fahrt durchgeschlafen haben. Wir frühstückten in einem Café und hatten dann noch knapp drei Stunden, um durch Madrid zu laufen, bevor mein Bus um 11 Uhr nach Candeleda abfuhr, wo ich an dem Meditations-Retreat teilnehmen werde. 

Wären wir direkt nach Madrid geflogen, wie ursprünglich mal geplant war, hätten wir das alles nicht erlebt, all die wunderbaren Menschen nicht getroffen, wir hätten Jorges Freunde nicht besucht und die zahlreichen zauberhaften Orte nicht gesehen. Dazu gehört vor allem der französische Teil des Baskenlands, aber auch Bordeaux und Brüssel, wo ich zum ersten Mal war. Sicherlich war es ein Wehmutstropfen, nicht mehr Zeit an den Orten verbringen zu können. Daran zeigt sich, dass man nicht langsam genug reisen kann. Schöner wäre es gewesen keinen Termin zu haben, an dem wir in Madrid sein müssen. Einfach dort zu bleiben, wo es uns gefällt, so lange wir Lust dazu haben. Einfach spontan Orte zu besuchen, zu denen unsere Fahrer und, wenn auch seltener, Fahrerinnen unterwegs sind. Aber während des ersten Teils unserer Reise sollte es leider nicht so sein. Wir haben trotzdem jede Menge erlebt und die Reise sehr genossen.


Nun sitze ich im Bus, schreibe diesen Eintrag zu Ende und hoffe, dass ich in dem kleinen Ort noch Internet finden werde, um ihn online zu stellen. Danach werde ich zehn Tage lang keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Nicht mal mit den anderen Kursteilnehmern werde ich mich unterhalten können, darf kein Telefon oder Computer benutzen, keine Bücher lesen oder mich sonst irgendwie ablenken. Wir werden jeden Tag um 4 Uhr früh aufstehen und zehn Stunden meditieren. Nicht am Stück, sondern mit Pausen dazwischen. Langsam werde ich mir bewusst, dass das ziemlich hart werden könnte. Aber ich glaube es gibt einen guten Grund dafür, dass ich diesen Kurs unbedingt machen will. Im letzten Jahr sind mir immer wieder Menschen begegnet, die es gemacht haben und mir rieten, es auch zu probieren. Wenn man ständig vom Leben mit der Nase draufgestoßen wird, sollte man sich einfach darauf einlassen. Im nächsten Eintrag schreibe ich dann mehr über die Vipassana-Methode und meine Erfahrung während des 10-tägigen Retreats.